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Archiv-Artikel

In den Kaufrausch gedudelt

HARMONIE Modeläden, Kaufhäuser und zunehmend auch Supermärkte beschallen ihre Kunden – und zwar mit Kalkül

VON SVENJA BERGT

Gute Laune überall – und das schon am frühen Morgen. Ein übertrieben fröhlicher Moderator, der kleine Infohäppchen zwischen die Lighthouse Family, Helene Fischer und Modern Talking einstreut. Nein, es ist kein normaler Radiosender, der hier dudelt. Es ist das eigens produzierte Programm einer Supermarktkette.

Fahrstuhlmusik – so hieß Hintergrundmusik noch in den 70er Jahren. Heute gibt es kaum noch Aufzüge mit Musik – dafür zunehmend Klänge an anderen Orten. Nicht mehr nur in Kaufhäusern und Modeläden. Sondern auch in Bahnhöfen, Supermärkten, der Gastronomie und in Wartezimmern. Sie soll Kunden zum Kaufen animieren und zum längeren Aufenthalt. Oder zumindest eine positive Grundstimmung erzeugen, damit die Besucher den Ort in guter Erinnerung behalten und gern zurückkommen.

Dass Gewerbetreibende an die Macht der Musik glauben, dafür sind vor allem Charles Areni und David Kim verantwortlich. Die Forscher machten 1993 ein Experiment, das heute immer noch als Beweis für eine verkaufsfördernde Wirkung von Hintergrundmusik angeführt wird. Dafür spielten sie in Weinhandlungen unterschiedliche Musik: mal Pop, mal Klassik. Das Ergebnis: Bei der klassischen Untermalung ließen Kunden mehr Geld im Laden. Nicht, weil sie mehr kauften, sondern weil sie zu teureren Produkten griffen. Klassik schafft den Eindruck von Wertigkeit, so die Überlegung.

Fest steht: Auswirkungen hat die musikalische Untermalung auf jeden Fall. „Was akustisch ankommt, landet auch im Gehirn, wir können nicht nicht hören“, sagt Benny Briesemeister, der am Zentrum für Neurowissenschaften an der Freien Universität Berlin forscht. Auch ein bewusstes Weghören sei fast unmöglich. Patrick Fagan, der zu Konsumverhalten an der Londoner Goldsmiths University forscht, hat herausgefunden: 66 Prozent der Käufe tätigen Verbraucher aus einem Impuls heraus oder als Ergebnis eines unbewussten Prozesses. Und: Nur 0,0004 Prozent der Daten, die über unsere Sinne auf uns einströmen, verarbeiten wir bewusst. Händler wissen also, dass sie, wenn sie die Zahl der Impulskäufe steigern oder mehr teure Ware verkaufen wollen, irgendwie an das Unterbewusstsein der Kunden heranmüssen. Warum nicht die Hoffnung in Musik setzen?

„Wenn man es richtig macht, hat Hintergrundmusik wahrscheinlich einen Einfluss“, sagt Briesemeister. Aber einfach nur fröhliche Musik abzuspielen und darauf zu hoffen, dass Kunden so in positive Stimmung und damit Kauflaune geraten, sei nicht realistisch. Zwar mache eine positive Stimmung einen Kauf wahrscheinlicher, und wenn nicht gleich einen Kauf, dann zumindest ein Wiederkommen, weil es in dem Laden so nett war.

Doch das Erzeugen von positiver Stimmung ist gar nicht so einfach. Nicht nur, weil der Musikgeschmack individuell verschieden ist, weil der eine Klassik mag und die nächste Triphop, die eine Jack Latham und der andere die Beatles. Sondern auch, weil das, was für einen selbst gestern noch toll war, morgen schon ätzend sein kann.

„Popmusik ist die Wahl, mit der man am wenigsten falsch machen kann und damit alles falsch macht“, sagt Briesemeister. Denn der Grad zwischen „Juhuu, mein Lieblingslied!“ und „Mach das aus, das nervt“ sei schmal. Gerade bei Ohrwürmern, die sowieso überall hoch und runter laufen. Dazu kommt, dass schon ein bisschen zu viel an Lautstärke Kunden eher vertreibt. Und während diese einen Ort mit Musikbeschallung in absehbarer Zeit wieder verlassen, sind Mitarbeiter ihren gesamten Arbeitstag über den Klängen ausgesetzt.

Martin Reißmann hat ein Unternehmen gegründet, das Händlern und Gastronomen Musik verkauft. Er glaubt: Die beste Hintergrundmusik ist die, die Kunden nicht auffällt. „Die Kunden soll sich unterbewusst wohlfühlen“, sagt Reißmann. Ob Dur oder Moll – bei ihm entscheide vor allem das Gefühl. Am besten eigene sich eher langsame, instrumentale, aber nicht unbedingt klassische Musik.

Eine der größten Firmen, die Unternehmen mit Hintergrundmusik versorgen, heißt Mood. Sie hat vor wenigen Jahren den US-Konzern Muzak geschluckt. Muzak, das war ein Markenname wie Tesa für Klebefilm: Er steht in den USA für die funktionelle Musik, wie sie in Läden und Gaststätten eingesetzt wird. Mood hat zum Beispiel die Hintergrundmusik für The Body Shop zusammengestellt. Herausgekommen ist etwas, dass das Unternehmen als „Mix aus World-Beat-Rhythmen, akustischen und souligen Klängen“ bezeichnet. Sprachen wie Brasilianisch sollen für internationalen Touch sorgen, gleichzeitig sollen Retrotracks positive Erinnerungen freisetzen und starke Frauenstimmen von Adele oder Rihanna die weibliche Hauptzielgruppe ansprechen. „Je breiter die Zielgruppe, desto schwieriger die Musikauswahl“, sagt Briesemeister.

Wissenschaftler Fagen hat in einer Studie für die Händlerplattform Ebay im vergangenen Jahr den neuesten Trend untersucht: Musik im Onlineshop. Forscher haben dafür verschiedene Klänge an 2.000 Konsumenten getestet. So griffen Kunden, die Naturgeräusche hörten, verstärkt zu Outdoorprodukten. Wer etwa Vogelgezwitscher vorgespielt bekam, kaufte eher einen Grill als der Durchschnittskunde. Der Klang von Klimaanlagen ließ Kunden den Wert eines Objekts realistischer einschätzen. Klassische Musik führte dagegen dazu, dass Kunden den Wert eines Objekts überschätzten, im Schnitt um 5 Prozent. Und bei Verkehrslärm trafen die Kunden weniger rationale Entscheidungen – ein Argument dagegen, seine Onlineeinkäufe unterwegs zu tätigen.

Standard ist die klangliche Untermalung von Websites noch nicht. Sie hat aber im Gegensatz zur Musik im Laden einen Vorteil: Bei Nichtgefallen lässt sie sich mit einem einfachen Klick ausschalten.