: „Dass wir noch da sind, ist schon ein Statement“
DIE KULTURAKTIVISTEN Haus Schwarzenberg wurde vor 20 Jahren als selbst verwaltetes Kulturzentrum gegründet. Die Oase der Alternativkultur strotzt Touristenströmen und Mainstreamkultur in Mitte. Henryk Weiffenbach und Meike Lena Danz blicken zurück – und nach vorn
■ Das Haus: Das Haus Schwarzenberg wurde im März 1995 von der Künstlergruppe Dead Chickens als selbst verwaltetes Kulturzentrum gegründet. Es vereint auf einer Fläche von über 2.000 Quadratmetern verschiedenste Kunst- und Kulturorte, darunter zum Beispiel die Kneipe „Eschschloraque Rümschrümp“, das KinoCentral, die Neurotitan Galerie und viele Ateliers. Insgesamt arbeiten hier etwa 100 Menschen. Auf dem Gelände des Hauses befinden sich zudem die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, das Anne Frank Zentrum und das Café Cinema.
■ Die MacherInnen: Henryk Weiffenbach (50) ist Mitgründer von Haus Schwarzenberg. Der gebürtige Berliner, Sohn des Schaubühnen-Gründers Klaus Weiffenbach, ist seit den frühen 90er Mitglied der Künstlergruppe Dead Chickens (heute als Kollektiv nicht mehr aktiv), Mitbetreiber des Eschschloraque Rümschrümp, kümmert sich dort um die Bande-a-Part-Reihe, bei der es dienstags (Tanz-)Performances, Aktionskunst oder Burlesque-Auftritte gib. Weiffenbach hat sein Atelier im Haus Schwarzenberg und arbeitet als Fotograf. Meike Lena Danz (37) arbeitet hier seit 2002, ist für die Ausstellungs- und Projektkoordination sowie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, betreibt gemeinsam mit Steffi Goebel den Neurotitan-Shop. Die gebürtige Dortmunderin studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Bochum und Berlin.
■ Die Ausstellung: Seit Freitag läuft die Jubiläumsausstellung „Yes We’re Open“ in der Neurotitan Galerie. Das Besondere: Die Ausstellung entsteht erst, während sie bereits läuft. KünstlerInnen wie Lisa Smith, John Reaktor, Vetomat und andere sind eingezogen und haben bis zur Abschlussparty am 30. Mai Zeit, sich einzurichten und künstlerisch tätig zu sein. www.neurotitan.de. (jut)
INTERVIEW JENS UTHOFF FOTOS DAGMAR MORATH
taz: Frau Danz, Herr Weiffenbach, wenn man in den Hof des „Haus Schwarzenberg“ tritt, hat man das Gefühl, ein 1990er-Mitte-Freilichtmuseum zu besuchen. Hat das Schwarzenberg heute etwas Museales?
Henryk Weiffenbach: Klar, alle Leute kommen hier rein und sagen: „So sah’s hier in der Gegend vor 20 Jahren aus!“ Das stimmt so nicht ganz, weil es damals keine Graffiti gab und es unberührter war. Vielleicht ist der Geist aus dieser Zeit noch da, die Freiheit. In den 1990er Jahren ging ja fast alles, man konnte machen, was man wollte.
Meike Lena Danz: Aber wir sind natürlich kein Museum! Schon allein, weil wir ganz viel aktuelles Programm anbieten und viele Aktionen machen. Es wird von einigen tatsächlich als museale Fotokulisse genutzt. Die kommen hier rein und fotografieren alles ab. Manche laufen einfach schnell durch und gucken sich den Ort eigentlich nur durchs Display an. Das ist ein Aspekt des Hauses, aber es gibt noch viele weitere – und wichtigere.
Sie sind einerseits nah an der Subkultur, haben progressive, junge KünstlerInnen im Haus, andererseits ein Magnet für Touristen. Welche Widersprüche treffen im Haus Schwarzenberg heute aufeinander? Weiffenbach: Alle! (lacht) Na ja. Man kommt hier rein und kann davon ausgehen, auf dem Weg von der Straße bis zur Kneipe, dem Eschschloraque, hundert Mal fotografiert zu werden. Wenn das von einem Tag auf den anderen passiert wäre, wäre ich wahnsinnig geworden. Aber wir sind so langsam weichgekocht worden. Manchmal denke ich mir auch: „Was will ich hier eigentlich?“ Aber wenn ich ein paar Wochen verreist war und dann wiederkomme, denke ich mir immer: Hier gibt es einen Geist, der ganz cool ist. Touristen hin oder her.
Der Gründungsmythos und der Name des Hauses scheinen aber weiterhin bestens zu passen. Erzählen Sie doch mal, wie es damals zur Namensgebung kam! Weiffenbach: Unser Name geht auf die Geschichte des Landkreises Schwarzenberg zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg war diese Region in Sachsen noch nicht besetzt. Die Rote Armee und die US-Armee standen an den Grenzen dieses Landkreises. Bei den Russen lautete der Befehl, dass sie bis zur Ostgrenze vorrücken sollten, bei den Amis war der Befehl unklar. Eine Legende besagt, dass ein US-Sergeant eine Münze geworfen hat, die den Befehl bestimmen sollte – so kam heraus, dass sie nur zur Westgrenze vorrückten. Also gab es dieses unbesetzte Stück Land und auch ein paar Nazis, die einen letzten Flecken Erde retten wollten, die aber von den tapferen Antifaschisten vertrieben wurden. Diese Kämpfer fürs Gute riefen die „Freie Republik Schwarzenberg“ aus.
Es ist aber umstritten, ob sich die Geschichte auch nur ansatzweise so zugetragen hat, oder? Weiffenbach: Eine lustige Anekdote dazu: Das Haus Schwarzenberg gehörte verschiedenen jüdischen Erben. Der Anwalt, der diese Erbengemeinschaft vertrat, sprach mich mal auf den Namen Schwarzenberg an. Als wir über diese Legende sprachen, sagte er: „Ja, stimmt, es war so!“ Er sei als Kind in Schwarzenberg gewesen, habe sich dort als Flüchtling am Bahnhof aufgehalten. Seine Familie hätte als eine der letzten das unbesetzte Land verlassen … Wir sind auf den Namen gekommen, weil Stefan Heym die Geschichte in seinem Roman „Schwarzenberg“ beschrieben hat. Eine damalige Mitgründerin hatte es gerade gelesen.
Wieso ausgerechnet der Name? Weiffenbach: Damals waren um uns herum – rechts und links und vorne und hinten – Investoren. Dies hier war ein Stück Land, das man nicht besetzen konnte, weil es nicht klar war, wo es hingehörte. Stefan Heym schmückte die Utopie Schwarzenberg aus – sind Sie demnach so etwas wie verwirklichte Utopie?
Weiffenbach: Leider nein. Und irgendwie schon. Wir werden ja auch verwaltet. Wir sind zwar nicht von Investoren abhängig, aber wir haben eine Hausverwaltung, und wir haben Auflagen. Wir können es hier heute nicht mehr so gestalten wie in den ersten zehn Jahren. Bis dahin waren wir der Hauptmieter des ganzen Hauses; wir hatten freie Hand. Seit 2004 ist das Haus in Besitz der Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Jetzt ist alles viel komplizierterer und bürokratischer. Der Name aber bleibt komischerweise immer aktuell: Heute ist ringsherum der komplette Kommerz ausgebrochen – und Investoren kommen immer noch nicht ran.
Das Haus Schwarzenberg hat vom amerikanischen Touristen über die Berliner Kulturszene bis hin zum Underground-Künstler einen guten Ruf. Was ist Ihr Geheimnis?
Weiffenbach: Es gibt keinen Ort, wo Street Art, Monsterkabinett, Kneipe, Kino und Museen so komprimiert sind. Diese Mischung aus Off-Kultur und total etablierter Gedenkkultur gibt es, glaube ich, nirgendwo anders. Es werden Leute angesprochen, die man normalerweise nicht ansprechen würde. Damit meine ich: Bei uns werden plötzlich Omas, die in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand waren, mit Street Art konfrontiert. Oder aber das Anne Frank Zentrum erreicht dank uns auch noch mal ganz andere Leute.
Stellt es ein Problem dar, dass so viele Touristen herkommen? Weiffenbach: Ich seh das mittlerweile wie eine Naturgewalt. An so einem Ort ist es utopisch zu denken, dass das nicht passiert. Anfangs waren wir mit dem Eschschloraque ein Mitgliederklub. Irgendwann haben wir festgestellt, es kommen nicht mehr genug Leute zu uns, weil die Mitglieder alle weggentrifiziert wurden. Also haben wir gesagt: Entweder wir öffnen uns ein bisschen oder wir gehen pleite. Ich glaube, wir haben uns dieser Tourismus-Naturgewalt angepasst, ohne uns zu verkaufen.
Danz: Grundsätzlich ist es doch was Gutes, dass die ganze Welt hierherkommt. Es ist eher eine Typenfrage: Wie kommen die hier an, wie verhalten die sich? Wenn sie reingehen, alles abfotografieren und wieder rausgehen, hat das eher Zoocharakter.
Man muss den Tourismus-Faktor ja auch nicht nur negativ sehen. Was haben die Ihnen denn im Positiven gegeben?
Weiffenbach: Umsatz. (lacht) Traurig, aber wahr. Das kann man nicht leugnen. Es wäre Blödsinn zu sagen, dass wir davon in keinster Weise abhängig wären. Sie finanzieren unsere Experimente mit. Gleichzeitig machen wir aber auch immer wieder Sachen, die Touristen anscheinend verschrecken.
Zum Beispiel? Weiffenbach: Zum Beispiel hatten wir kürzlich hier ein experimentelles Noise-Konzert, da blieben dann schnell nur noch die Fans übrig … Wenn man straight planen würde als Veranstalter, würde man sich danach ausrichten, was hier für ein Publikum herumläuft – dann würde man so ein Konzert sicher nicht machen. Wir nehmen uns aber heraus, es zu machen. Bei unserer Bande-a-Part-Reihe, die wir regelmäßig im Eschschloraque machen, treten Tänzer und Performer mit oft extremen und schrägen Sachen auf – das ist eins der Projekte, die an einem Touri-Ort nicht passieren würden.
In vielen künstlerischen Szenen gibt es eine ausgeprägte Hermetik, zum Beispiel in der Abgrenzung zum Mainstream. War die bei Ihnen trotzdem immer schon weniger stark ausgeprägt als andernorts?
Weiffenbach: Wenn Sie mir sagen, wo die Grenze zum Mainstream ist, würde ich sagen: ja. Da ich die aber noch nicht gefunden habe, kann ich nicht richtig darauf antworten. Ich kenne die Grenze nicht, die besagt: Hier hört die Subkultur auf und da fängt der Mainstream an. Hätte mir vor zehn Jahren jemand gesagt, was ich heute mache, hätte ich dem wohl ’nen Vogel gezeigt.
Warum? Weiffenbach: Einen Ort, den zu 50 bis 70 Prozent Touristen besuchen? Nee, das hätte ich mir damals nicht vorstellen können. Heute sage ich: Ich erhalte lieber diesen Ort, den ich wichtig für das Kulturleben dieser Stadt finde. Es ist auch eine Art privater Widerstand: Den Leuten die lange Nase zu zeigen und zu sagen Bäh, wir sind immer noch da und malen die Wände an.
Aber es war und ist ja mehr, als nur ein bisschen Wände anmalen. Aus dem Haus Schwarzenberg sind viele später sehr erfolgreiche KünstlerInnen hervorgegangen. Sind Sie eine Talentschmiede? Danz: Ja, schon irgendwie.
Weiffenbach: „Schmiede“ stimmt nicht – wir haben den Leuten einfach den Freiraum gegeben, in dem sie sich entfalten konnten.
Danz: Es gibt auf jeden Fall eine Menge Künstler, die mit dem Haus früh verbunden waren und es bis heute sind. Danielle de Picciotto, Love-Parade-Mitgründerin und Bildende Künstlerin gehört dazu. Jim Avignon ebenso – mit dem Verkauf der übrig gebliebenen Kataloge und Comics seiner ersten Ausstellung in der Galerie begann übrigens auch die Geschichte des Neurotitan-Shops. Oder auch die Comic-Künstler ATAK, Fil oder Mawil. Mawil ist zum Beispiel so einer, der mit seinen kleinen Heftchen hier bei uns ankam und der heute in den Feuilletons besprochen wird. Alle drei waren deshalb so wichtig, weil sie dem Medium Comic zu mehr Reputation verholfen haben.
In seiner Umgebung wirkt das Haus Schwarzenberg als Kulturort sehr einzigartig, es scheint wenig gemein zu haben mit den anderen Galerien, die hier eröffnen. Gibt es trotzdem Kontakte oder Kooperationen?
Danz: Wir kooperieren mit dem Weinmeisterhaus, das kulturelle Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche anbietet. Die kommen mit Kindern und Jugendlichen oft hierher. Es gibt zum Beispiel Workshops während der Ausstellungen. Als der New Yorker Comiczeichner Ben Katchor kürzlich zu Gast war, hat er einen Comic-Workshop mit den Kindern und Jugendlichen gemacht. Und dann gibt es die Graffiti Lobby, mit der wir in engem Austausch sind …
… Graffiti Lobby? Danz: Das ist ein Verbund von Aktivisten aus der Street-Art-Szene, die unter anderem dafür zuständig sind, den Street-Art- und Graffiti-Künstlern Flächen zu vermitteln. Sie sind mit den Verantwortlichen aus der Politik im Gespräch. Es geht darum, Graffiti aus der Grauzone zu holen und es zu legalisieren.
Mit welchen Institutionen gibt es noch Verbindungen?
Danz: Orte wie der Schokoladen oder das Acud sind uns inhaltlich sicherlich näher als irgendwelche Galerien in der Nähe.
Weiffenbach: Ich finde, Schwarzenberg ist ein Ort, der zwischen allem steht. Also auch etwa zwischen Schoko-Laden oder den Galerien in Mitte. Wir verschließen uns weder dem einen oder dem anderen. Wenn sich was ergibt, würden wir sicher auch mit den Mitte-Galerien kooperieren. Es ist ja nichts Schlechtes daran, wenn eine Galerie oder ein Künstler erfolgreich ist; ganz egal, wie man zum Kunstbusiness steht.
Könnte man künstlerisch noch mehr auf die neu geschaffene Umgebung in Mitte reagieren?
Danz: Es ist schwierig – man ist ja nicht in direktem Kontakt mit den Inhabern der Läden. Um uns herum sind nur noch irgendwelche Niederlassungen von Mode- und Kaffeehausketten, die von irgendwo zentral gesteuert werden. Es gab mal diese Aktion mit dem „blauen Band“, die die Künstlerin Lisa Smith initiiert hat. Das war 2003, als das Haus Schwarzenberg bedroht war. Smith ist durch die Läden gezogen und hat überall blaues Klebeband hingeklebt, um auf uns aufmerksam zu machen. Das sollte die Solidarität mit dem Schwarzenberg symbolisieren.
Ich meinte damit aber auch, noch offensiver nach außen aufzutreten und zu sagen: „Hey, hier sind wir!“ Ist das eine bewusste Entscheidung, sich da zurückzuhalten?
Weiffenbach: Nein, das ist eher eine Frage von Kapazitäten. Wir haben genug zu tun, den Ort hier zu bespielen und den Betrieb aufrechtzuerhalten. Sich jetzt auch noch Gedanken darüber zu machen, wie ich mit MCM [eine Modekette – Anm. d. A.] oder Boss umgehe, ist zeitlich einfach nicht zu schaffen. Unsere Umgebung spiegelt sich in der Arbeit vielleicht indirekt wider. Dass wir überhaupt hier sind, ist schon ein Statement. Wenn ich heute zum Beispiel in den benachbarten Läden ein Paket abholen will, das versehentlich woanders gelandet ist, gucken die mich manchmal an, als wäre ich ein Alien. Ich schnall das dann gar nicht sofort – aber ich sehe natürlich so aus, als würde ich ganz sicher nichts kaufen und passe in solche Läden nicht rein.
Ihr Mietvertrag läuft 2015 aus. Wie sieht denn die Zukunft aus?
Danz: Es liegt noch kein konkretes Angebot vor. Wir bereiten uns gerade auf die Verhandlungsgespräche vor.
Aber es ist schon sehr wahrscheinlich, dass es in der jetzigen Form weiterläuft?
Danz: Wir müssen nicht fürchten, von Investoren rausgedrängt zu werden. Es gibt einen klaren Nutzungsauftrag für das Haus. Der besagt, hier soll eine Mischung aus Geschichte, Kunst, Kultur stattfinden. Eine kommerzielle Nutzung ist hier für diesen Standort jedenfalls nicht vorgesehen. Ich bin optimistisch, dass es weitergeht.
Wie lange soll ein neuer Nutzungsvertrag laufen?
Danz: Unser Ziel ist es, dass wir zu den gleichen Konditionen hier bleiben, aber mit einer langfristigeren Planungssicherheit. Wir hatten vorher Mietverträge über fünf Jahre. Wir möchten eigentlich eine Mindestlaufzeit von 20 Jahren haben, um vernünftig planen zu können.
Weiffenbach: Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses Gefüge aufgelöst werden soll. Gerade die Neurotitan Galerie hat jetzt so lange bewiesen, dass sie als international gut vernetzte Galerie gut funktioniert. Ich glaube auch, wir würden einfach nicht gehen.
Auf Ihrer Homepage fragen Sie sich selbst: „Dürfen wir auf 20 weitere Jahre hoffen?“ Wie realistisch ist dieser Wunsch?
Weiffenbach: Ich glaube schon, dass das realistisch ist.
Danz: Es ist auf jeden Fall unser Ziel, weitere 20 Jahre hierzubleiben und das Haus an die nächste Generation zu übergeben.
Worauf darf das Publikum in den nächsten 20 Jahren hoffen?
Danz: Wenn wir wirklich Planungssicherheit hätten über 20 Jahre, dann ließen sich ganz andere Sachen realisieren als jetzt. Da wären andere Investitionen möglich, man könnte die personellen Kapazitäten aufstocken. Das geht derzeit nicht. Weiffenbach: Wir könnten mal wieder ’n Festival machen. Danz: Genau, warum eigentlich nicht?