beleidigt sein etc.
: Cronenberg, jetzt reichts!

Irritiert nimmt man in diesen Tagen zur Kenntnis, dass David Cronenbergs neuer Film „Eastern Promises – Tödliche Versprechen“ bisher keine Proteste hervorgerufen hat. Denn Cronenbergs Film verletzt die Würde nicht nur einer, sondern gleich mehrerer Minderheiten, arbeitet absichtsvoll mit Stereotypen und Klischees, beleidigt, diffamiert und kriminalisiert, wo er nur kann. Allen voran werden russische Einwanderer in denkbar schlechtes Licht getaucht. Der Film zeigt sie als brutal und skrupellos; sie sind vom Hals bis zu den Zehen tätowiert, saufen, verdienen ihr Geld mit Frauenhandel, vergewaltigen Minderjährige und schmuggeln Heroin. Von den Tschetschenen ganz zu schweigen – sie sieht man sowieso nur mit dem Dolch in der Hand.

Für einen der Russen, Kirill, hat sich der Drehbuchautor Steven Knight etwas besonders Perfides ausgedacht. Kirill ist schwul, ohne es wahrhaben zu wollen. Das macht ihn doppelt gewalttätig, aufbrausend und unberechenbar. Diese Charakterzeichnung dürfte nicht nur rechtschaffene Russen tief treffen, weil Homosexualität bei ihnen nicht vorkommt, sondern auch die Schwulenverbände auf den Plan rufen, handelt es sich doch um eine Form der diskriminierenden Darstellung, wie man sie aus dem Kino der 40er-, 50er-Jahre kennt: Homosexuelle Figuren wurden damals stets so gezeichnet, dass ihnen jede Aussicht auf Glück versagt blieb. Sie waren armselige Wesen, zur Heimlichtuerei verdammt, dem Verbrechen, dem Selbstmord und also dem Verderben zugeneigt. „Eastern Promises“ fällt weit zurück hinter die Standards, wie sie die Coming-out-Komödie der 90er-Jahre setzte, indem sie die große böse Welt der Fiktion dem Gebot der positiven Darstellung unterordnete.

Wenn also Schwulenverbände mit vollem Recht eine Entschuldigung von David Cronenberg, Steven Knight und der Produktionsfirma Focus Features verlangen dürfen, dann haben Frauenverbände dazu nicht weniger Anlass. Denn die weiblichen Figuren in „Eastern Promises“ sind entweder komplett naiv, oder sie sind Prostituierte, oder sie sind beides zugleich. Was für ein rückständiges Frauenbild, was für eine patriarchale Weltsicht! Wo sind die aktiven, souverän agierenden Frauen in Cronenbergs Film? Und kommen Sie mir nicht mit der Hauptfigur Anna, der Hebamme. Die stakst schließlich so ahnungslos durch den Film, dass jede selbstbewusste Frau dies als Affront begreifen muss. Damit nicht genug: Anna ist blond. Als blonde Frau fühle ich mich davon persönlich beleidigt. Meiner liberalen Grundeinstellung widerspricht dies selbstverständlich nicht.

Der deutsche Verleih, Tobis Film, möge bitte ein Einsehen haben und „Eastern Promises“ aus den Kinos nehmen, bevor es zu spät ist. CRISTINA NORD