Die Methode Campact: Lautsprecher des kleinen Mannes
Seit 2004 hat sich Campact zu einer einflussreichen Kampagnen-Plattform entwickelt. Eine halbe Million Menschen stehen inzwischen auf ihrem Verteiler.
BERLIN taz | Die Regentropfen vor dem Kanzleramt wandeln sich allmählich in Schneeflocken. Demo-Moderator Christoph Bautz schaudert, nicht nur vor Kälte. 23.000 Menschen haben die Politik von CSU-Agrarministerin Ilse Aigner satt und versammeln sich trotz des schlechten Wetters am Samstagmittag vor dem Kanzleramt. Bautz ist sichtbar überwältigt von den Menschenmassen, die sich mit Traktoren, selbstgebastelten Schildern, Fahnen und Kostümen in den Protestzug einreihen. Dass dieses Jahr entgegen den Erwartungen des großen Veranstalterbündnisses sogar mehr Protestler als im Vorjahr nach Berlin gereist sind, ist auch sein Verdienst.
Bautz ist Gründer und Geschäftsführer von Campact. Der Verein, der im Untertitel den Slogan "Demokratie in Aktion" trägt, organisiert seit 2004 regelmäßig Online-Kampagnen. Seit Wochen bewirbt Bautz die Veranstaltung. Am Freitag hat das Team von Campact einen Appell an Aigner überreicht, der online von 80.000 Personen unterzeichnet worden war. Nach ähnlichen Aktionen hatte sich die Agrarministerin im Jahr 2009 dazu bewegen lassen, im letzten Moment den Anbau von Gen-Mais MON810 zu verbieten. Christoph Bautz ist sich sicher, dass die Campact-Aktivisten mit ihren Mobilisierungskampagnen den entscheidenden Druck aufbauen konnten.
Dass sich Campact nicht nur in Sachen Agrarpolitik einmischt, zeigt ein Blick auf die Liste der Kampagnen: Anti-Atom, Klimaschutz, Finanzpolitik, Pressefreiheit und Pflegequalität sind nur einige davon. Für einen Verein ein überraschend breites Portfolio.
Bevor ein Appell gestartet wird, stimmen 1.000 zufällig ausgewählte Campact-Aktive über Themenvorschläge ab und kommentieren diese. Die Ergebnisse werden quantitativ und qualitativ ausgewertet und weiterentwickelt, bis am Ende eine Kampagne entsteht, die massentauglich ist.
Mehr als eine halbe Million Interessierte
Derzeit beziehen 510.822 Personen den Newsletter des Kampagnennetzwerkes. Eine beachtliche Zahl. Hinzu kommen Aktionen in Facebook und anderen Online-Netzwerken. In kurzer Zeit lassen sich Tausende informieren, vernetzen und mobilisieren. "Beschlüsse werden jetzt nicht mehr wie früher im stillen Kämmerlein getroffen", sagt Christoph Bautz. Der Erfolg der Internetmobilisierung ist jedoch nur in Zusammenarbeit mit Bündnispartnern möglich, "sonst würde keiner glauben, dass wir so viel Ahnung von den Themen haben".
Sich über das Internet in politische Prozesse einzubringen ist nichts Neues in Deutschland. Dies gezielt mit Kampagnen zu verbinden schon. Campact wählt damit bewusst ein anderes Instrument als zum Beispiel die Online-Petitionen des Bundestags, die inzwischen von vielen Initiativen genutzt werden. Bautz hält nicht viel von den Petitionen – deren Wirkung sei beschränkt und verpuffe schnell.
![](https://taz.de/picture/231135/14/campact_1_f.jpg)
Campacts Aktionsprinzipien lehnen sich an die 1998 gegründete amerikanische Protestplattform MoveOn an. In deren Netzwerk haben sich bereits fünf Millionen Menschen beteiligt. So groß ist Campact zwar nicht, aber es kann auf ein schnelles Wachstum zurückblicken. Manchmal ging es fast ein wenig zu schnell: Bei einer Kampagne zu Nebeneinkünften im Jahr 2006 war der Ansturm so groß, dass die Webseite zusammenbrach. "Heute sind wir aus den Kinderschuhproblemen rausgewachsen", sagt der Campact-Geschäftsführer. Die Technik ist ausgebaut und mehr als 20 Festangestellte betreuen inzwischen die Aktionen.
Der Verein finanziert sich hauptsächlich über Spenden von über 9.000 Förderern. Staatliche Gelder oder Parteispenden werden strikt abgelehnt. So kann Campact seine politische Unabhängigkeit wahren. Diese ist wichtig für die Campact-Aktiven, die laut Bautz "die ganze Bandbreite" der Bevölkerung widerspiegeln. Für viele sei Campact der Einstieg in politische Aktivitäten.
Vor Merkels Haustür
An diesem Samstag in Berlin steht Christoph Bautz auf der Bühne und kommt langsam in Fahrt: "Dieser Platz hier ist goldrichtig, direkt bei Angela Merkel vor der Haustür!" Auch wenn mit Hilfe des Internets Tausende mobilisiert werden können – um physische Präsenz in der Hauptstadt kommt man nicht herum.
Bautz selbst reist wöchentlich für Gespräche mit Bündnispartnern, Politikern oder Journalisten nach Berlin. Obwohl der Druck auf die Politik zur Essenz seiner Arbeit zählt, sieht sich der Campact-Gründer nicht als Lobbyisten. Viel eher, sagt er, verschaffe er denen Gehör, die sonst nicht gehört würden: "Campact fungiert als Lautsprecher."
Grund zum Zweifeln am Campact-Prinzip sieht Bautz nicht. Die Frage, ob sie genug Leute mobilisieren können, wird jedoch immer bleiben.
Dieser Text ist entstanden in der taz.akademie im Rahmen des 1. taz Panter Workshops Online "Internet Hauptstadt Berlin" für angehende Journalisten.
Dieses Mal in Berlin sind viele Menschen gefolgt. Der Anteil von Campact daran ist schwer zu messen, denn an dem Veranstalterbündnis waren insgesamt 90 Agrar- und Umweltverbände beteiligt. Für Bautz ist das an diesem Tag nicht wichtig, er freut sich so oder so.
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