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Archiv-Artikel

Spritzig, herb – verboten?

Immer wieder wird in der Politik über ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit diskutiert. Damit soll vor allem das exzessive Komasaufen eingedämmt werden. Aber ist diese Teil-Prohibition sinnvoll?

ja

Das „Jahrbuch Sucht 2008“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen belegt, was unsereins bereits länger vermutete. Junge Menschen werden ihrem Ruf als rüpelnde Teenager gerecht, vergnügen sich rülpsend auf Flatrate-Partys, trinken mehr, als die Polizei erlauben würde, und finden das cool. Sie verbreiten legal Ekel, hinterlassen leere Flaschen und Ratlosigkeit. Die Jungen können mit ihrer Freiheit nicht umgehen.

Die Freiheit muss begrenzt werden, zu viel Frivolität tut der Gesellschaft nicht gut. Ein Blick über den Gartenzaun zeigt, dass es sich trotz Oktoberfest und Ballermann keineswegs um eine deutsche Eigenheit handelt. Offenbar haben die Millionen, die die Schweiz für Werbekampagnen gegen das Rauschtrinken ausgegeben hat, wenig bewirkt. Einer der Slogans „Schau zu dir und nicht zu tief ins Glas“ hat sich mehr als ironischer Abschied denn als weiser Ratschlag ins kollektive Bewusstsein gedrängt. Bald wird dort über ein strenges Alkoholverbot abgestimmt, öffentlich trinken zwischen Mitternacht und nächster Afterhour müssen gebüßt werden. Schließlich gebe es auch das Recht der Anwohner, bei offenem Fenster schlafen zu können, argumentiert man.

In Spanien trifft sich die Jugend für Botellones auf öffentlichen Plätzen, um sich die Disko warmzutrinken. Die vielen kleinen Gruppen bilden so die Masse, die zum Ärgernis der Stadtväter wird. Spezielle Geschäfte sind auf die junge Kundschaft ausgerichtet und bieten die Alkoholika im Kanister an.

Dass sich Jugendliche schamlos in der Öffentlichkeit betrinken und Polizei, Eltern und Anwohner machtlos zuschauen lassen, ist unhaltbar. Der Vandalismus und auch die Kotze wären nur halb so wild. Wäre da ein Grund für den Exzess, den die Jungen feiern. Der Tanz in die Apokalypse, als es der Wirtschaft schlecht und dem Terror gut ging, ist schwierig geworden. Leicht ließe sich eine Predigt für den Nachwuchs schreiben, leichter ist es im gegenwärtigen Klima, ein Gesetz zu verabschieden, das den Unwissenden sagt, was sie tun und lassen sollten.

Finstere Zeiten also mögen aufziehen, mit dem Rauchverbot geben wir uns nicht zufrieden. Nein! Das Alkoholverbot wollen wir auch. Erst ausgenüchtert wird eine besonnene Diskussion über die regulierten Lebensbereiche, die sich kontinuierlich mehren, möglich. Der öffentliche Raum gehört schließlich auch uns. GINA BUCHER

nein

Das Bier in der U-Bahn zählt zu den strategisch wichtigen Überbrückungsgetränken. Es verhindert einen unschönen Abfall des persönlichen Promillepegels in der Phase zwischen dem Vortrinken zu Hause und dem Weitertrinken auf der Party danach. In Berlin sieht man abends und am Wochenende überall Menschen mit einer Flasche in der Hand, warum sollten sich andere darüber aufregen? Über schädliche Folgen des Passivtrinkens ist bisher noch nichts bekannt.

Sicher, Alkoholgenuss, vor allem fortgeschrittener, hat zuweilen unschöne Begleiterscheinungen. Alkoholfahnen in S-Bahnen, Betrunkene, die laut grölen, lallen, torkeln, herumschreien oder sich an Straßenecken erbrechen. Nur wird ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit nichts von alldem ändern. Dass man mit den Bier- und Schnapsflaschen zugleich die Betrunkenen von den Straßen verbannt, ist illusorisch: Der Alk bleibt vielleicht zu Hause, die Trinker bleiben’s nicht.

Alkohol trinken, ja, sich so richtig schön besaufen ist in diesem Land legal. Mehr noch, es findet breite gesellschaftliche Zustimmung quer durch die Schichten, die Berufsgruppen, die Geschlechter. Warum also ein Gesetz, das an Heuchelei kaum zu überbieten ist? Gesundheitsmissionarisch ist so ein Verbot zum Scheitern verurteilt, denn die deutsche Trinkkultur ist gesellschaftlich viel zu tief verankert. Das nächtliche Straßenszenario, zumindest das urbane, wird weiterhin die ganze Palette von Alkoholgekennzeichneten bereithalten: torkelnde Partygänger, Schnapsleichen vor dem Supermarkt, ganze Touristengruppen kurz vor dem totalen Delirium.

Auch wenn es darum geht, aus den Bürgern per Gesetz ein kollektives gutes Beispiel für die Jugend zu formen, kann das nicht funktionieren. Siehe die USA, wo Alkoholflaschen auf der Straße in Papiertüten verhüllt sein müssen und es den Teenies trotzdem nicht einfällt, sich auf Partys nicht ordentlich einen hinter die Binde zu kippen. Auch säuft sich die Jugend bekanntermaßen eh lieber im Klub als auf der Straße ins Koma.

Und ein Alkoholverbot, weil der Bürger sich in der Öffentlichkeit gefälligst zu benehmen hat? Das mag ein hehrer Politikerwunsch sein, kann aber kein Gesetz legitimieren, denn schlechte Angewohnheiten stehen uns zum Glück frei. Laster gehören zu unserer Gesellschaft, ob wir sie hinter geschlossene Türen sperren oder nicht. Der öffentliche Raum gehört uns.

LANA STILLE