: Ist Sarkozy noch lustig?Oui!
Der französische Präsident wurde mit seiner Ehe zwischen Politik und Pop in kürzester Zeit zu einer weltweiten Ikone. Aber ist das nun Pop? Politik? Beides? Und vor allem: Darf man sich von dieser Mischung noch unterhalten lassen?
Nein, das ist nicht Brunis neues Plattencover. Die italienische Chansonsängerin posiert hier in der neuen Werbekampagne der Automarke Lancia. Kulturelles und kommerzielles Talent wurden dem 39-jährigen Exmodel in die Wiege gelegt: Ihr Vater war Mitinhaber des Reifenherstellers Pirelli, ihre Mutter Konzertpianistin. Gerüchten zufolge hatte die schöne Bruni bereits Affären mit Mick Jagger, Donald Trump und Sean Connery. Am vergangenen Samstag heiratete sie den französischen Staatspräsidenten.
Mag sein, dass es für die Franzosen kein allzu großer Spaß ist: dabei zusehen zu müssen, wie ihr Präsident, schier besoffen von der eigenen Wichtigkeit, sich derzeit zum virilen Überstenz stilisiert. Allein vermittels seiner Krawatten-, Urlaubs-, Uhren- und Frauenwahl hat er es schließlich binnen weniger Monate zu weltweiter Popularität und auf die buntesten Seiten der buntesten Länder gebracht. Nicht nur in den Dschungeln des südlichen Indien wird man bestens über Sarkozy und seine Weibergeschichten informiert, sondern auch im bürgerkriegsgeplagten Kenia, wo die Menschen doch eigentlich ganz andere Probleme haben sollten.
Probleme haben sie übrigens auch in Frankreich: Probleme bei der Integration von Einwanderern; Probleme mit dem Wirtschaftswachstum, das mit gerade mal zwei Prozent am unteren Ende amtlicher Prognosen dümpelt; Probleme mit dem Außenhandel und seinem Defizit von knapp 30 Milliarden Euro; Probleme mit der allzu schlaffen Kaufkraft der Konsumenten; Probleme vor allem mit der Jugendarbeitslosigkeit, die bei satten 21 Prozent liegt. Alles Probleme, die Sarkozy in Angriff zu nehmen versprochen hat. Stattdessen scheint Sarkozy, wenn er nicht gerade französische Atomtechnik an ehemalige Schurkenstaaten verhökert, vor allem mit der öffentlichkeitswirksamen weil glamourösen Möblierung seines Privatlebens beschäftigt.
Als Franzose dürfte man jenseits aller Stilfragen durchaus argwöhnen, dass hier die lustvolle Inszenierung des Privaten die reale Politik überdeckt, wenn nicht sogar verdrängt – und sich fragen, was der Mann im Windschatten seiner Prominenz denn nun eigentlich anpackt, so als Präsident der Republik.
Wenn man allerdings aus Deutschland so hinüberschaut über den Rhein nach Frankreich, dann stellen sich diese Fragen nicht, dann stellen sich, je nach Gemüt, nur diffuse Gefühle wie Erheiterung, Amüsement, Befremden – und auch ein gewisser Neid ein. Die üblichen stereotypen Affekte also, mit denen die Deutschen den Franzosen von Alters her zu begegnen pflegen. Zumal es, ebenso wenig wie zur französischen Force de frappe und dem ungebrochenen gallischen Nationalstolz, hierzulande nicht einmal den Hauch einer Entsprechung des Theaters gibt, das sich derzeit in Paris abspielt.
Frankreich hat einen Präsidenten mit ausufernder Patchworkfamilie und offenbar vitalem Liebesleben, der auf geradezu schmerzhafte Weise mit der landesüblichen Dezenz bricht und auf sittliche Traditionen pfeift. Wir haben einen Christian Wulff.
Frankreich hat einen Präsidenten, der sich für 34.000 Euro schminken und zu einem ähnlichen Preis eine Armbanduhr von Patek Philippe (nicht von Rolex, parbleu!) schenken lässt. Wir hatten einen Kanzler, bei dem auch keine Schminke mehr geholfen hätte, bei dem es gerade mal für einen protzigen Mantel von Brioni gereicht hat.
Frankreich hat einen Präsidenten, der sich mit seiner Upperclass-, Model- und Popstar-Freundin vor dem Hintergrund der Pyramiden ablichten lässt. Wir haben eine Angela Merkel, die, wenn’s hochkommt, mit Rucksack und Allwetterjacke durch alpine Loipen ächzt, gefolgt von ihrem angeblich nobelpreisverdächtigen Professoren-Gatten – und ansonsten jetzt schon, abgesehen von ihrer eigenen Wiederwahl vielleicht, keine aufregenden Ziele zu verfolgen scheint, nicht einmal privat.
Frankreich hat nun also ein Ehepaar im Élysée, bei dem Iris Radisch von der Zeit „unser hohes Ideal einer großen Liebe auf Augenhöhe“ vermisst, warum auch immer. Unterdessen beckmessert die FAS, die Ehe von Sarko und Bruni würde enden wie die von Paul McCartney und Heather Mills. Aber die Scheidung von McCartney, die Musik von Bruni – hatte das nicht beides höchsten Unterhaltungswert? ARNO FRANK
Non!
Wenn Einschaltquoten über die Qualität einer Schau entscheiden – dann ist die Sarko-Schau perfekt. Der französische Präsident schafft es seit acht Monaten, in den Schlagzeilen zu bleiben. Mal mit privaten Auftritten, mal mit politischen. Und meist mit beiden. Sein Bild, sein Name und seine Botschaft sind permanent präsent. Die Botschaft lautet: Ihr Präsident ist immer für Sie da. Er ist kompetent in jeder Frage. Er kämpft für Sie. Und er ruht nie.
Damit bestätigt Sarkozy einen Allmachtsmythos, von dem auch seine Amtsvorgänger profitiert haben. Bloß mussten Jacques Chirac und vor ihm François Mitterrand weniger rennen, weniger oft auftreten und weniger Skandale veranstalten, um präsidential zu erscheinen. Sie waren qua Amt eine Institution. Sarkozy ist es qua Agitation. Das hat auch Generationengründe. Chirac und Mitterrand waren längst erwachsen, als Sarkozy zur Welt kam und als die V. Republik vor dem Hintergrund des Algerienkrieges gegründet wurde.
Beide hatten einen zeremoniellen Stil und eine Zurückhaltung, inklusive Heimlichtuerei im Privaten, die einer anderen Zeit angehören. Jenen, die wie Sarkozy erst nach 68 erwachsen wurden, ist das fremd geworden.
Der erste Nach-68er Präsident Frankreichs ist der erste, der sein Privatleben als Teil seiner politischen Funktionen organisiert. Der erste, der seine Virilität öffentlich inszeniert. Und der erste, der seine Kungelei mit den Reichsten des Landes ohne Komplexe zeigt. Zugleich baut er das Amt täglich weiter aus. Und entmachtet die anderen Gewalten in der Republik. Er ist der erste Präsident, der seine MinisterInnen mit Hausaufgabenlisten entmündigt. Der erste, der wichtige Fachdossiers der MinisterInnen an sich reißt, um sie persönlich zu erledigen: in Paris, Tripolis, N’Djamena oder Brüssel.
Damit verbindet Nicolas Sarkozy traditionelle französische Machtfülle mit dem Lebensgefühl der Nach-68er und dem People-Stil aus den USA und aus dem Deutschland der Schröder-Ära. Wie seine ausländischen KollegInnen bedient sich Sarkozy dabei meisterhaft der Medien. Anders als der Italiener Berlusconi, der selbst Medienmagnat ist, folgt Sarkozy dabei einem aus Deutschland bekannten Lehrsatz. Er lautete: „Zum Regieren brauche ich Bild, BamS und Glotze.“ Sarkozy bedient sich auch der andernorts bekannten taktischen Umgangsformen mit JournalistInnen: Manche duzt er. Andere macht er öffentlich lächerlich. Wieder anderen droht er mit Klagen. Dahinter steckt viel mehr als die Generation und der persönliche Stil. Sarkozy hat in Frankreich dieselbe historische Aufgabe wie einst Schröder in Deutschland. Sarkozy will das soziale Sicherungssystem, das Arbeitsrecht und ein Steuersystem, das ein Stück sozialer Umverteilung bringt, aushöhlen. Bei diesen Aufgaben wird er von sämtlichen EU-Regierungen unterstützt – zuvorderst von Bundeskanzlerin Merkel. Sie alle finden, dass Frankreich unbedingt und dringend den anderen EU-Ländern angepasst werden muss. Und Sarkozy gilt ihnen – vermutlich zu Recht – als der einzige französische Politiker, der es schaffen könnte, die verbliebenen Widerstände zu brechen. Selbst wenn die Meinungsumfragen dabei vorübergehend in den Keller sacken.
Während Sarkozy sich trennt, turtelt, sich verliebt und wieder verheiratet. Während er sich im Urlaub von Milliardären aushalten lässt, während er joggt und während er Verbalattacken gegen die Europäische Zentralbank reitet, steigt Nebel auf. Die Medien berichten über seine Schau. Aber dahinter geht die Politik umso ungestörter weiter. Der Sozialkahlschlag unter dem hyperaktiven Präsidenten Sarkozy schreitet rasant voran. Das zu gewährleisten, ist die eigentliche Aufgabe der Sarko-Schau.
DOROTHEA HAHN