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Archiv-Artikel

Ach Gott

Religionskritik hat in Philosophie und Kunst große Tradition. Doch nicht jede Verhöhnung ist aufklärerisch. Bigott wird es, wenn sie sich nur gegen die Religion der Anderen richtet

Echte Religionskritik ist mehr als die Kritik einer Religion. Sie fragt, was der Glauben aus Menschen macht

Der Durchschnitts-Christ sei „eine erbärmliche Figur, ein Mensch, der nicht bis drei zählen kann“, und Jesus ein „Idiot“ – so schrieb der große Philosoph Friedrich Nietzsche. Das ist jetzt schon ziemlich lange her. Ein paar Jahre sind dagegen erst vergangen, da hat die taz den Gekreuzigten despektierlich „Balkensepp“ genannt.

Mohammed sei ein „Kinderschänder“, der Islam solle dorthin zurückgeworfen werden, wo er hergekommen ist, „hinter das Mittelmeer“, so äußerte sich vor vier Wochen die FPÖ-Politikerin Susanne Winter. In den einschlägigen Internetforen geht es seitdem hoch her. Die „Hinternhochbeter“, wie die Muslime hier abschätzig genannt werden, sollen sich nicht so aufführen.

Sind die Schrammen in religiösen Gefühlswelten nicht ziemlich gerecht verteilt? Klar, Religionskritik muss erlaubt sein, Invektive und Spott inklusive. Mehr noch: Religionskritik ist ein hehres Erbe der Aufklärung. Hätte es die Verve nicht gegeben, mit der religionskritische Philosophen, Essayisten, Literaten, aber auch Filmemacher und bildende Künstler gegen das Heilige angegangen sind – unsere Gesellschaften wären mit Sicherheit weniger lebenswerte Orte. Der Philosoph Ludwig Feuerbach schrieb gegen die „Christentümelei“ an, der Aufklärer Voltaire gegen die „niederträchtige“ Kirche, die die Menschen „verdorben“ habe. Der britische Denker Bertrand Russell machte sich über die Vorstellung lustig, es gäbe einen Gott, der uns wie „ein Big Brother im Auge behält“. Und von Woody Allen ist der Satz verbürgt: „Es gibt nicht nur keinen Gott, schlimmer noch, es ist auch unmöglich, am Wochenende einen Klempner zu bekommen.“

Das westliche Christentum hat sich daran gewöhnt, dass es gelegentlich durch den Kakao gezogen wird, auch wenn die Kirchen hin und wieder die Gerichte anrufen. „Die“ Muslime dagegen reagieren schon bei der kleinsten Karikatur hysterisch. Nur, ist die Sache so einfach? Ist Religionskritik etwa nicht gleich Religionskritik?

Nein, nicht jeder Spott ist Aufklärung. Wenn die Nazis die jüdische Religion verächtlich machten, dann war das keine Religionskritik, sondern ein Aspekt der mörderischen Judenhetze. Wenn in Indien ein Hindu den Islam oder ein Muslim die Hindus beschimpft, dann würde das kein vernünftiger Mensch „Religionskritik“ nennen, sondern als Teil eines latenten Religionskrieges ansehen, der sich regelmäßig in Pogromen entlädt.

Historisch jedenfalls ist das, was man gemeinhin „Religionskritik“ nennt, etwas, das „subversiv von innen“ kommt, wie der Leipziger Philosoph Christoph Türcke formuliert – und sehr oft nicht einmal von areligiösen Menschen, sondern von Leuten, die emotional in das Kritisierte verstrickt sind. Kritik, besonders wenn sie sich mächtige religiöse Autoritäten vornimmt, kommt ohne Spott nicht aus. Aber Spott ist auch nicht gleich Spott. „Hohn und Spott“, schreibt Christoph Türcke, „waren stets nur da aufklärerisch, wo Schwache sie als Waffe gegen Mächtige führten.“ Wenn Mächtige oder kulturell Etablierte über Underdogs spotten, dann ist das eine Siegerpose von oben herab und schrammt hart an rassistisches Ressentiment heran. Kurzum: Es macht schon einen Unterschied, ob ein Exmuslim den Propheten Mohammed einen „Kinderschänder“ nennt oder ob die Kritik von Spießbürgern aus Charlottenburg kommt, die über die rückständigen Türken und Araber die Nase rümpfen.

Auch der Islam hat seine Religionskritik. Schon im Mittelalter gab es islamische Freigeister. In ihrer Tradition stehen Intellektuelle und Künstler wie Salman Rushdie, die Schriftstellerin Taslima Nasrin oder der ägyptische Islamgelehrte Nasr Hamid Abu Zaid, der von Religionsgerichten seines Landes als „Häretiker“ verurteilt und zwangsgeschieden wurde und heute in den Niederlanden lebt. Ein besonders bemerkenswerter Autor ist ein Intellektueller, der unter dem Pseudonym Ibn Warraq schreibt. Als Muslim geboren, hat er in einem fulminanten Werk mit dem Islam abgerechnet. Titel: „Warum ich kein Muslim bin“. Auch die subversive Kritik „von innen“ kann bisweilen überspitzt und ungerecht sein – nur hat die Maßlosigkeit ihre Berechtigung, weil sie eine Reaktion auf das Eiferertum ist.

Heißt all das aber nicht im Endeffekt, dass Religionen überhaupt nur von „innen“ kritisiert werden können? Nicht unbedingt. Zunächst: Die Religion der Mehrheit, besonders dann, wenn sie für sich das Recht in Anspruch nimmt, die moralische Ordnung in einer Gesellschaft für alle wesentlich mitzuprägen, kann wohl ohne große Scham auch von Angehörigen einer (religiösen) Minderheit aufgespießt werden. Bestes Beispiel: jüdische Satiriker, die über das Christentum ihre Scherze machen. Kompliziert wird es aber, wenn etablierte Angehörige der Mehrheitskultur eine Religion angreifen, deren Anhänger vornehmlich einer unterprivilegierten Minderheit angehören. Sakrosankt kann natürlich auch die Religion einer Minderheit nicht sein. Es kommt dabei aber immer auf den Zungenschlag und auf den Kontext an.

Einen Maßstab für alle Fälle gibt es nicht, und die Grenzen sind fließend. Nehmen wir nur das Christentum: Als jede Pore des Lebens vom Katholizismus kontrolliert war und die Kardinäle die Kanonen segneten, da konnte eigentlich keine Schmähung beleidigend genug sein. Heute, wo das Christentum in Europa liberalistisch ausgedünnt ist und sich auch fromme Christen wie eine Minderheit fühlen, ist die Verhöhnung billig. Als George Grosz im Ersten Weltkrieg Jesus mit Gasmaske am Kreuz zeichnete, wofür er einen spektakulären Blasphemieprozess aufgehalst bekam, war das beherzte Kirchenkritik. Wenn die Popdiva Madonna heute während eines Konzert aufs Kreuz steigt, ist das eine kalkulierte Pose.

Vor allem aber hat sich das, was als „Religionskritik“ in den Kanon der westlichen Geistesgeschichte einging, nicht als Bashing einer bestimmten Religion verstanden, sondern, wie der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann anmerkt, „als Kritik des religiösen Bewusstseins als solchem“. Es ist ja kein Zufall, dass wir ein Kunstwerk wie Giovanni Da Modenas Fresco „Der Prophet in der Hölle“ (Mohammed wird darauf vom Teufel in den Abgrund gezogen) als Ausdruck der Kreuzzüglermentalität ansehen, während Voltaires Kritik am fanatischen Propheten („ein Kamelhändler“) aufklärerisch verstanden wird.

Es ist ein Unterschied, ob ein Exmuslim über den Islam spottet oder ein Spießbürger aus Berlin-Charlottenburg

Mehr noch: Religionskritik hat sich nicht darin erschöpft, die weltliche Macht der religiösen Autoritäten zu bekämpfen. Sie hat in Frage gestellt, was der Glaube als solcher mit Menschen macht: dass er verhindert, dass sie die Welt mit klarem Kopf sehen. Dass er sie neurotisiert, weil sie von der Vorstellung stetiger Sündhaftigkeit besessen sind. Und dass er sie infantilisiert, weil sie sich unter der Beobachtung eines allmächtigen Gottes wähnen, dem man sich nur auf Knien nähern darf.

Mit einem Wort: Religionskritik wollte nicht gegen eine Religion hetzen. Sondern Menschen schaffen, die sich nicht verhetzen lassen. ROBERT MISIK

Fotohinweis:Robert Misik, 42, lebt in Wien. Er schreibt für die taz, für „Falter“ und „Profil“ (siehe www.misik.at). Ende Februar erscheint sein neues Buch „Gott behüte! Warum wir die Religion aus der Politik raushalten müssen“ (Ueberreuter-Verlag).