: Archivieren als politischer Akt
Das Neue Museum Weserburg in Bremen beherbergt ein weithin unbeachtetes, indes rasant wachsendes „Archiv für Künstlerpublikationen“ – es ist eines der größten seiner Art. Derzeit zeigt das Museum Kleingrafiken des DDR-Künstlers Joseph Huber. Ein Rundgang zum heutigen „Tag der Archive“
von Jan Zier
Im Grunde sammeln sie ja alles, jedenfalls: fast alles. Zumindest aber Bücher und Zeitschriften, Postkarten und Plakate, Schallplatten und Kassetten. Die Briefmarken nicht zu vergessen, dazu die Einladungskarten, die Filme. Alles, was KünstlerInnen irgendwie als Kunstwerk veröffentlichen, egal in welcher Form, aber meist in einer eher unscheinbaren. „Künstlerpublikationen“ eben, doch schon dieser wenig sinnliche Genre-Titel klingt nach einem Archiv, nach Klarsichthüllen, nach verstaubten Aktenordnern, nach einem neonlichtgefluteten Keller. Und einem Ort, dessen Tag genau einmal im Jahr kommt: am heutigen „Tag der Archive“.
Das Neue Museum Weserburg in Bremen beherbergt eines der europaweit – wenn nicht weltweit – größten Archive für solche Künstlerpublikationen. Deren große Zeit waren eher die 60er und 70er Jahres des vergangenen Jahrhunderts, also die Ära des Fluxus, der Pop Art, der Konkreten Poesie – „Snail Mail Art“ müsste man heute wohl dazu sagen.
Wie viele Objekte das Bremer Archiv beherbergt, vermag auch dessen Leiterin, die Kunsthistorikerin Anne Thurmann-Jajes, nicht genau zu sagen. 80.000 mögen es sein, schätzt sie, vielleicht aber auch mehr, und jedes Jahr kommen gut 1.000 neue dazu, aber auch das kann man so genau nicht mehr zählen, denn schon dafür fehlt in Bremen die Kapazität. 1999 zumindest, als Frau Thumann-Jajes anfing, als die Weserburg das bis dato in Antwerpen ansässige „Archive for Small Press & Communication“ (ASPC) aufkaufte, waren es 3.000, und aus dem Jahr 2003 wird die Zahl 60.000 kolportiert. Einen richtigen Etat für den Ankauf haben sie im Archiv heute nicht, doch die Preise für Künstlerpublikationen sind überschaubar, manches wird gespendet, und für kleinere Summen finden sich auch mal Sponsoren aus dem Freundeskreis der Weserburg.
Die hervorragendste Gemeinsamkeit der Objekte ist ihre Auflage – Einzelstücke sind hier eher selten. Das drückt den Preis, die Bedeutung in der Kunstszene, die allgemeine Wahrnehmung. Und genau das ist auch so gewollt. Künstlerpublikationen sollten für jeden erschwinglich sein – das war die Idee – und damit das Wesen des Kunstmarktes demokratisieren, entkommerzialisieren. Vielleicht ist sie deshalb aus der Mode gekommen. Oder ad absurdum geführt worden: Holz- und Filzpostkarten von Joseph Beuys etwa, einst für zwölf Mark zu haben, kosten heute bis zu 1.000 Euro.
Den grob geschätzten 170.000 Werken des Joseph W. Huber, von denen einige derzeit in der Weserburg zu sehen sind, wird dieser materielle Bedeutungszuwachs auf absehbare Zeit wohl vorenthalten bleiben, auch wenn Thurmann-Jajes ihn zu den „wichtigsten Künstlern der DDR“ zählt. Bei den SED-Offiziellen war er indes nie wirklich gut gelitten, auch wenn sie ihn meist gewähren ließen, und nach der Wende, sagt Thurmann-Jajes, sei er „totgeschwiegen“ worden. 2002 nahm er sich das Leben.
Zeitlebens hat Huber in der DDR das gemacht, was im Westen den Grafiker Klaus Staeck – heute Präsident der Akademie der Künste in Berlin – bekannt machte: Politsatirische Postkarten und Plakate. So wie jenes, das bis heute zahlreiche Treppenhäuser und Wohngemeinschaften ziert, ursprünglich eine Kohlezeichnung Albrecht Dürers von 1514, ein Porträt seiner Mutter, von Staeck mit der Frage versehen: „Würden sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“
„Vom Umtausch ausgeschlossen“ ist eines von Hubers Motiven, das Bild dazu zeigt die Erde, vom Mond aus, vor dunklem Hintergrund. Es ist ein Werk von 1982, und auch bei Klaus Staeck, den sie ob seiner Parteizugehörigkeit gelegentlich den „ehrenamtlichen Art Director der SPD“ nannten, gibt es ein ähnliches Motiv von 1983.
Seit 1979 fertigte der gelernte Offsetdrucker Huber Postkarten, vielfach mit Fotos, manchmal aber auch mit Texten wie diesem: „Setze dem Überfluss Grenzen, damit Grenzen überflüssig werden.“ In der DDR verkaufte er sie für eine Ostmark, konnte davon auch leben, sagt Thurmann-Jajes, irgendwie, nach der Wende hingegen nicht mehr, wiewohl die Druckqualität dann deutlich besser war. Heute erinnert vieles an die Umsonst-Postkarten, die in zahllosen Kneipen ausliegen – als kommerziell genutzte Werbeträger.
Huber hat sein eigenes Archiv irgendwann verkauft, mangels Erfolg, und inzwischen ist der Nachlass über Umwege in das Archiv der Weserburg eingegangen. Rund vier bis sechs Ausstellungen werden aus dessen Beständen bestritten, in diesem Jahr etwa stehen neben Huber auch die Radiokunst sowie Friederike Mayröcker und Ernst Jandl auf dem Programm. Wie viele BesucherInnen diese Ausstellungen mit Künstlerpublikationen zählen – auch das weiß Thurmann-Jajes nicht so genau, sie können in der Weserburg nicht extra gezählt werden. Eigens in das Studienzentrum kommen jedenfalls nur ein paar Hundert, ForscherInnen und Studierende zumeist, aber auch, so wird stolz vermerkt, „das MoMa“, also das Museum of Modern Art in New York, weltweit eine der bedeutendsten Sammlungen zeitgenössischer Kunst. Da schimmert sie wieder durch – die Kommerzialisierung, die Vereinnahmung durch den Mainstream. Dabei war doch gerade das „Archive for Small Press & Communication“ einst angetreten, eine kulturelle Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Guy Schraenen, sein Gründer, verstand sein Archiv als „politisches Statement“. Einer wie Joseph W. Huber ist da bestens aufgehoben.
Joseph Huber: DENK-Zettel aus‘m Osten. Bis 27. April