: Die schmutzige Schönheit der Natur
Die Künstlerin Lili Fischer organisiert Pflanzenkonferenzen, führt Besentänze und Klärschlamm-Charleston auf – und das lange, bevor die Kräuterteezeremonien en vogue wurden. Nun hat sie den Kunstpreis der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft erhalten
Auf der Cebit in Hannover macht gerade das Wort „Green IT“, „grüne Informationstechnologie“ die Runde. Das sollen Geräte sein, die wenig Strom verbrauchen und giftstoffarm produziert werden. Eine gute Sache. Nur darf man darüber nicht vergessen, dass dieses schöne neue Schlagwort ein Oxymoron ist. Denn Informationstechnologie und Ökologie schließen sich aus. Ob Fernseher, Computer, Handy, I-Pod: Sie alle katapultieren den Menschen aus seiner natürlichen Umwelt heraus.
Wer sich von diesem Verlust ein Bild machen will, sollte sich mit der Künstlerin Lili Fischer beschäftigen. Gerade hat sie den Kunstpreis der Schleswig-Holsteinischen Wirtschaft erhalten und aus diesem Grund ist jetzt eine Ausstellung mit Zeichnungen und Objekten der Künstlerin auf Schloss Gottorp zu sehen. Das Thema: Motten und Schnaken. Schon immer hat sich Fischer für die Natur interessiert, und zwar nicht für die spektakuläre, schönheitsstrotzende, sondern für die ständig übersehene und vergessene: Kräuter und Pflanzen, Moor und Torf, Büsche, Bäume, und alles, was darunter kriecht und was darüber flattert, hat die 1947 in Travemünde geborene Künstlerin ins Medium der Kunst gebannt. Oft allerdings war dabei ihre Kunst genauso flüchtig, wie die geliebten Falter, ein Tanz, eine Performance oder eine Aktion, wie 1983 in der Hamburger Kunsthalle: da veranstaltet Lili Fischer eine Pflanzenkonferenz (Eintritt erhielt nur, wer eine Pflanze mitbrachte), reicht Gundermann zum Gurgeln, rührt mit Wermut und Senfmehl Hand- und Fußbäder an und verköstigt die Besucher mit Teeproben. Dann wird angeregt diskutiert und von den mitgebrachten Pflanzen basisdemokratisch eine ausgewählt und zum Friedenskraut gekürt, die Brennessel. Zum Schluss verabschiedet man noch eine Resolution und adressiert sie an den Hamburger Bürgermeister.
Dass die Kräuterfrau Fischer auch für Hexen was übrig hat, liegt auf der Hand. Als Performerin hat sie einen „Besentanz“ aufgeführt, am Sauerländer „WaldSkulpturen-Weg“ einen Hexenplatz angelegt. Man sieht daran: Fischers Kunst passt nicht recht ins Museum und noch weniger in die Galerie. In den 70er Jahren im Gefolge von Fluxus, Happening und Wiener Aktionismus entstanden, artikuliert Fischer mit ihren Arbeiten vielmehr eine harsche Kritik am Kunstmarkt und den von ihm generierten Schöner-Wohnen-Kunstwerken. Gegen die Designwelt führt sie die schmutzige Schönheit der Natur ins Feld, gegen den Rationalismus der Technik den Zauber und die Magie archaischer Zeiten.
Ähnlich wie Beuys tritt Fischer als Schamanin auf, der es nicht um Kunstwerke, sondern um Kunsterziehung, Kunstrituale geht. Sie will für eine neue, für eine wiedergewonnene Sensibilität im Umgang mit der Natur werben, für Kreativität und Zwiesprache mit der Natur. Als Naturvermittlerin verlässt sich Fischer dabei nicht rein auf ihre künstlerische Tätigkeit. Nach ihrem Studium an der Hamburger Hochschule für bildende Künste hat sie in Pellworm eine Doktorarbeit über „kreative Animation“ geschrieben. Und sie hat einen wissenschaftlichen Ansatz in ihre Arbeit eingeführt, die aus der Ethnologie und Soziologie stammende „Feldforschung“, die sich vor allem auf teilnehmende Beobachtung verlässt. So hat Fischer das Material für ihre Kunst gewonnen, indem sie es der Natur abgelauscht, abgeguckt hat. Sie hat als Vogelwart in Norderoog gelebt und hat Moore und Wälder durchwandert. Und diese Erfahrung in die Kunst transportiert.
Heute, im Abstand von 20 Jahren, muten ihre Kräutersitzungen aus einem denkwürdigen Grund überholt an. Tinkturen, Kräuterteezeremonien und Schlammbäder, wie sie es im Rahmen ihres „Klärschlamm-Charleston“ genommen hat, werden ja heute in jeder drittklassigen Wellness-Oase angeboten. Es wäre aber ein Fehler, wollte man diese neueren Entwicklungen gegen Fischers Kunst ins Feld führen. Sie zeigen vielmehr, wie sehr die Künstlerin einer Gesellschaft voraus war, die jetzt aus den idealistischen Lehren der Kunst auch noch ein lukratives Geschäft macht. MAXIMILIAN PROBST