: Lieber Barnabas!
RBS – Sein geheimes Tagebuch (1): Die Aufzeichnungen des legendären Hamburger Innensenators a. D.,Ronald Barnabas Schill, weltexklusiv in der taz nord. Heute: Das Jahr 1996 – Schritte zum Ruhm
5. Mai
Mannomann, Barnabas, ich fasse es nicht: Ich kann dem Maeffi [RA Uwe Maeffert, bei dem Schill Referendar war, d.Red.] eine Nase dreh’n. Du weißt doch, Maeffi will mir seit jeher am Zeug flicken. Und jetzt ist es amtlich. Ich hab’s mit Brief. Und mit Siegel: Ronald Barnabas Schill – Richter auf Lebenszeit. Toll. Dabei dachte ich schon, die Behörde fragt demnächst mal nach, warum ich so selten im Gericht bin. Aber nichts. Unfassbar, wie verlottert dieser Rechtsstaat ist. Der Maeffi kann jetzt einpacken: Rechtsbeugung? Wie will er das beweisen? Also ich lass mir erst mal meinen Jägermeister schmecken. Auf dein ganz Spezielles, Barnabas!
10. Oktober
Lieber Barnabas, du nimmst es mir doch hoffentlich nicht übel, aber ich brauche jetzt erst mal einen Jägermeister. Stell dir vor: Morgen muss ich schon wieder ins Gericht. Ein Skandal! Dabei hatte ich doch erst vor zwei Monaten jemanden verurteilt – und die Staatsanwälte, diese Weicheier, gehen sowieso wieder in die nächste Instanz. Morgen, das ist die irre B., die hat Autos zerkratzt. Mit einem Schraubenzieher. Die wandert in den Bau, kannst du einen drauf heben. Das wird ein Geschrei! Ich hab schon mal den Zeitungsfritzen was gesteckt, damit sich die Mühe auch lohnt. Die sind auch schon ganz gespannt, auch weil ich gesagt habe: Psychologische Gutachten – brauch’ ich nicht. Will ich auch nicht. Sieht ja jeder direkt, dass die B. verrückt ist wie ein Märzhase. Irre gehören weggesperrt, genau wie die Neger, hat Vater auch immer gesagt. Ach Vater, wenn du das erleben könntest! Du wärst stolz auf deinen Ronald. Manchmal denke ich so viel an Vater, dass es schon richtig weh tut. Neulich hätte ich beinahe sogar „die neunschwänzige Katze“ gesagt, ich habe es gerade noch gemerkt und „neun Monate ohne Bewährung“ verhängt, viel zu lasch. Schuld war natürlich wieder der Herpes. Der hat direkt auf meiner Lippe geblüht, so groß wie noch nie. Das hat mich aus dem Konzept gebracht. Hoffentlich morgen kein Herp[es], wäre mir gar nicht recht.
PS Verflixt, Jägerm[eister] wieder alle. Barnabas, du musst dich mäßigen!
11. Oktober
Lieber Barnabas, das war ein wirklich großer Tag heute: Der Saal war voll, obwohl das doch nur ein popeliges Amtsgericht ist. Blitzlichtgewitter, Radio, sogar TV, mindestens NDR. Und vom Herp[es] – keine Spur!!! Am Morgen war ich eine halbe Stunde vor Termin im G. Oha!, habe ich mir gesagt, du bist aufgeregt, Ronald Barnabas, mäßige dich! Und bin ins Büro, abgeschlossen und gewartet, bis halbe Stunde nach T[ermin]. Dann Robe über und schwungvoll einmarschiert in den Saal! Der schon proppenvoll, als wäre ich Fr.[-eisler? -iedrich der Große? ungeklärt, d. Red.]! Ich habe die zehn Minuten lang knipsen lassen – und alle, alle, haben nur mich fotografiert, mich, Ronald Barnabas Schill, Richter auf Lebenszeit! Und dann habe ich das Urteil verkündet. Erst wollte ich der B. nur ein Jahr geben, aber dann habe ich gedacht: Eins ist keins, und zweieinhalb Jahre gesagt. Der Staatsanwalt ist richtig zornig geworden! Zehn Monate auf Bewährung hatte der gefordert! Und stell dir vor: Schon am Nachmittag war eine Interview-Anfrage da – vom Focus! Das ist richtig groß! Sollte ich vielleicht in die Politik gehen?
Lesen Sie in der nächsten Folge: Das Jahr 1996 / II – Die Lawine rollt an