: Das neue Gesicht des Hungers
Grundnahrungsmittel werden weltweit teurer, und zwar immer schneller. In Ländern mit viel Armut drohen soziale Unruhen
VON DOMINIC JOHNSON
Ägyptens Regierung lässt das Militär Brot backen, nachdem zehn Menschen bei Schlägereien vor Bäckereien gestorben sind. Auf den Philippinen verlangt der Staat, dass Imbissbuden kleinere Reisportionen ausgeben, damit der Importbedarf sinkt. In Peru wird Soldaten Brot aus Kartoffelmehl angeboten, weil Weizen zu teuer ist. Weltweit ist die Teuerung von Grundnahrungsmitteln ein Politikum geworden – vor allem in Ländern, in denen große Teile der Bevölkerung sowieso zu wenig zu essen haben.
„Dies ist das neue Gesicht des Hungers“, sagte vergangene Woche Josette Sheeran, Chefin des UN-Welternährungsprogramms (WFP). „Es gibt Lebensmittel in den Geschäften, aber die Leute können sie nicht bezahlen. Es gibt eine neue Art von Prekarität in städtischen Gebieten, und es gibt Unruhen in Ländern, die das zuvor nicht kannten.“ Die Weltmarktpreise für Weizen und Reis schießen in die Höhe wie nie zuvor. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich der Weizenpreis an der Chicagoer Börse mehr als verdoppelt. Rohstoffe insgesamt haben sich seit Mitte 2007 um 40 Prozent verteuert.
Die Folgen sind drastisch: 40 Prozent mehr für ein Kilo Reis in der Elfenbeinküste, 100 Prozent mehr für ein Huhn in Ägypten, 140 Prozent mehr für einen Liter Speiseöl in Kamerun, ähnliche Sprünge in Ländern von Haiti bis Vietnam. Hilfsorganisationen warnen, die Versorgung von Flüchtlingen und anderen Bedürftigen sei gefährdet.
Die Ursache ist ein Paradox: Die Menschheit wird reicher. In Boomländern wie China und Indien wird mehr gegessen, und immer mehr Menschen können sich Fleisch leisten – Viehzucht aber benötigt gigantische Mengen Futtermittel. Immer mehr Agrarflächen gehen zugleich an den Anbau von Biokraftstoffen verloren. 100 Millionen Tonnen Getreide wurden 2007 verwendet, um Autos zu betanken, statt Menschen zu ernähren. Häufigere Dürre- und Flutperioden aufgrund des Klimawandels vernichten Ernten und erhöhen die Planungsrisiken für Bauern, die ohnehin wegen der steigenden Preise für Brennstoffe, Saatgut und Dünger verunsichert sind.
In immer mehr Ländern ist es in den letzten Wochen zu Brotunruhen gekommen: Mexiko, Kamerun, Senegal, Burkina Faso, Marokko, Ägypten, Jemen, Bangladesch, um nur wenige zu nennen. Experten sind sich einig: Das ist erst der Anfang. „Höhere Lebensmittelpreise werden in einer Reihe von Ländern, die von Importen abhängig sind, soziale Unruhe verstärken“, so die WFP-Chefin Sheeran. Der Experte Will Killmann von der UN-Agrarorganisation FAO sagt: „Zunehmende Ernährungsunsicherheit kann Ressourcenkonflikte auslösen, über Land oder über Nahrung.“
Schlechte Ernteprognosen in den USA, China und Kasachstan bedeuten, dass sich allein dieses Jahr die Preise für kommende Ernten („Futures“) von Weizen und Soja schon verdoppelt haben. Hoffnung bietet nur die Bankenkrise. Seit letzter Woche verkaufen Hedgefonds in den USA ihre Optionen auf künftige Getreideernten, um kurzfristigen Liquiditätsbedarf zu decken. Aber gerade die Kreditkrise wird kaum einen Händler dazu bringen, das an die Verbraucher weiterzugeben.