: Für Arme bleibt nur der Stadtrand
Wenn Hartz-IV-Empfänger nach Tenever und Gröpelingen vertrieben werden, zerfällt die ganze Stadt, fürchten Experten. Bei einer Diskussion im Speicher XI suchten sie nach Wegen, die Gräben zwischen den Stadtteilen zuzuschütten. Sozialwohnungen scheiden als Mittel aus: Es gibt kaum noch welche
Auch wenn die von den Organisatoren vorformulierten Beispiel-Visionen für das „Bremen des 21. Jahrhunderts“ – „dörfliches Idyll mit Straßenbahn“ oder „Hightech-Stadt“ – nur mäßig innovativ daherkommen: Das „Netzwerk junger Gestalter“ ruft „alle gestalterisch Tätigen“ sich Gedanken zu machen, „was Bremen fehlt“ und „was es morgen sein kann“. Die dabei entstehenden Exponate können, sofern maximal 1 x 1 x 1 Meter groß, zur Ausstellung „bremen 2.0 – die stadt neu denken“ eingereicht werden. Einsendungen sind bis 23. Juni möglich. cja
Von Christian Jakob
Es „schreit und drängt“ warnte einer, es „brennt“ wusste ein anderer, und „die Zeit läuft uns davon“, so schloss man. In der Sache herrschte also Einigkeit bei der Podiumsdiskussion des „Zentrums für Baukultur“ (BZB) im Speicher XI am Dienstag: Bremen zerfällt. Von innen. Eine schleichende Zersetzung des gesellschaftlichen Ganzen habe eingesetzt, so der Befund, die weit über die bloße Ballung von Reichen an einem und Armen am anderen Ort hinausgehe. Und weil das BZB das schon vorher wusste, hatte es im Rahmen seiner „Stadtdialog“-Reihe eingeladen um über „Spaltung der Stadt unabwendbar? – Perspektiven sozialer Stadterneuerung“ diskutieren zu lassen.
„Gesellschaftliche und ökonomische Prozesse finden sich in den räumlichen Strukturen der Stadt wieder“, sagte zu Beginn Andreas Farwick vom Institut für Geographie der Universität Bremen und versuchte das zu erklären, was Forscher „sozialräumliche Polarisierung“ nennen: Seit etwa zwei Jahrzehnten werde die Arbeitskraft von immer mehr Menschen hierzulande überflüssig – und diese sammelten sich dort, wo man am billigsten wohnt. Früher seien Sozialwohnungen auf viele Stadtteile verteilt gewesen, heute gebe es kaum noch welche: In den letzten Jahrzehnten sei der Bestand an Sozialwohnraum in Bremen um über drei Viertel gesunken.
„Die Wohnungsbaugesellschaften haben in den innenstadtnahen Lagen wie Hastedt fast alles verkauft“, sagte Farwick. „Sozial Schwache haben nur noch Zugriff auf Großwohnanlagen oder schlechte Altbauten.“ Durch „Fahrstuhleffekte“ richteten sich die Probleme im Stadtteil schleifenhaft gegen die Bewohner und verstärkten deren Randständigkeit. Es komme zu einer „kollektiven Verarmung“. Die Qualifizierten wandern ab, die Mieten sinken weiter, neue Unterqualifizierte wandern zu. Die Schulen werden schlechter und schließlich findet man nur sehr schwierig einen Job, wenn man die falsche Adresse hat.
Farwick projizierte eine Karte an die Wand, in der die „falschen Adressen“ tiefrot eingezeichnet waren. Überschuldung, Privatinsolvenzen, Sozialleistungsbezug – die Probleme häufen sich in Stadtteilen wie Gröpelingen, Tenever und zunehmend auch Huchting.
Man mag dies als alten Hut abtun, und die Frage stellen, warum es besser sein soll, wenn die Armen arm bleiben, aber dafür reiche Nachbarn haben. Farwick und anderen Forscher zufolge überträgt sich diese Abkopplung jedoch eben durch ihre räumliche Konzentration immer stärker auf die nächste Generation der Bewohner – und zementiert sich deshalb.
„In Gröpelingen wächst eine Generation heran, die kaum Chancen hat – oder sie sich bitter erkämpfen muss“, sagte der Soziologe Lutz Liffers, der in Gröpelingen ein Kulturprojekt gegründet hat. Man dürfe sich nicht auf Projekten wie dem vielgelobten, aber kleinräumigen „Wohnen in Nachbarschaften“-Programm (WiN) ausruhen. Das Problem sei vielmehr „eines der ganzen Stadt“. Diese Einsicht vermisse er auch in den bürgerlichen Vierteln, die sich als fortschrittlich verstünden.
Liffers berichtete, wie er einmal „Auslandsaufenthalte“ in den Ferien für muslimische Gröpelinger Kinder bei Schwachhauser Gastfamilien angeregt hatte. Zunächst habe er Bedenken bei den türkischen Familien ausräumen müssen. „Die haben uns gefragt, ob ihre Töchter auch respektvoll behandelt werden und ob sie auch kein Schweinefleisch kriegen.“ Das sei zu händeln gewesen, doch als er die Schwachhauser Gasteltern mit dem Ansinnen konfrontiert habe, dass ihre Kinder zum Austausch nach Gröpelingen gehen, hätten diese dankend abgelehnt und angeboten „lieber etwas zu spenden“.
Auch wenn er Wert auf die Feststellung legte, dass „hier keiner verhungern wird“, stimmte Sozial-Staatsrat Joachim Schuster Liffers und Farwick weitgehend zu. „In Bremen lebt im Schnitt jedes dritte Kind von 7 Euro pro Tag. Sie können sich ausrechnen, was das für die Stadtteile bedeutet, in denen sich das ballt.“ Das zugrunde liegende Problem jedoch, der fehlende Arbeitsmarktzugang der Eltern, „kann aber nicht von der Kommunalpolitik bekämpft werden“, so Schuster. Dennoch sehe er diese in der Pflicht „Armutsrevolten zu vermeiden“, wie sie „in einigen europäischen Ländern“ gar nicht so unrealistisch seien. Die Spaltung der Stadt sei „nicht unabwendbar“, wenn man eine „partizipative Entwicklung“ verfolge.
Was Schuster meint: Maßnahmen in sozialen Brennpunkten fruchten nur dann, wenn man sie mit den Bewohnern konzipiert. Eben das sei aber das Problem, sagt Kathrin Möller, Geschäftsführerin der Gewoba-Tochter Gesellschaft für Stadtentwicklung: „Man kann bei Programmen in diesen Quartieren oft nicht auf eine bürgerlich-aufgeklärte Gesellschaft mit Hintergrund in der Arbeiterbewegung zurückgreifen“, konstatierte sie. Integrierte Quartiersentwicklung sei deshalb zuerst eine „Aktivierung von Sprachlosen“.
An Möllers Gleichsetzung von Armut mit der Unfähigkeit, sich zu artikulieren, nahm niemand Anstoß. Der Staatsrat Schuster jedoch brach an dieser Stelle eine Lanze für das bremische WiN-Programm: „Die Summen, die hier verteilt werden, sind ziemlich klein, finanziell bringt das den Quartieren wenig“, sagte Schuster. Es habe jedoch einen „zentralen Stellenwert“ für die geförderten Gebiete, weil es die Bevölkerung so stark einbinde.
„WiN hat Leute aktiviert, die von alleine nie auf die Idee gekommen wären, sich zu engagieren.“ Man dürfe dabei jedoch nicht übersehen, dass das Programm bei den Sozialindikatoren kaum Fortschritte erzielt hätte: „Hier gibt es eine relative Konstanz. Gröpelingen ist immer noch auf dem letzten Platz.“ Allenfalls zu einer Stabilisierung habe WiN beigetragen. Mit solchen Projekten alleine könne es daher nicht getan sein: „Um die Lebensbedingungen zu verbessern brauchen wir eben nicht nur bürgerschaftliches Engagement, sondern Sozialtransfers und öffentliche Infrastruktur.“
Auch der Geograf Farwick äußerte sich am Ende der Diskussion kritisch über die herkömmlichen Quartiersentwicklungsansätze: „Hier wird an Symptomen herumkuriert. Man versucht hier ein bisschen die Sozialindikatoren zu stabilisieren, dann geht man aus dem Stadtteil raus, und dann wieder woanders rein, wenn es dort gerade brennt“, sagt er. Das sei ihm „etwas zu beliebig“. Von Nöten sei ein „umfassendes Konzept der De-Segregation“, der sozialen räumlichen Vermischung. „Und hier müssen vor allem die Wohnungsbaugesellschaften mit ins Boot.“