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Archiv-Artikel

Radio Bremen ganz privat

Die Radio Bremen-Nachrichtenchefin will die „Montagsdemo“ verklagen. Diese hatte einen Brief von ihr ins Netz gestellt, in dem steht, warum der Sender nicht über die Demos berichten will

Von Christian Jakob

„Knallhart“ haben sie sie genannt und “arrogant“, ja, „durch und durch verzickt“ seien ihre Äußerungen. Silke Hellwig, Nachrichtenchefin von Radio Bremen, hat sich in den letzten Wochen nicht beliebt gemacht bei den Aktivisten der Bremer „Montagsdemo“. Dabei hat die Journalistin eigentlich nichts weiter getan, als in einem Brief zu erklären, warum ihre Anstalt nicht über die allwöchentlichen Anti-Hartz-Kundgebungen auf dem Marktplatz zu berichten gedenkt. Doch weil Hellwig diesen Brief unbedingt von der Öffentlichkeit fernhalten will, droht nun ein handfester juristischer Streit zwischen den Protestlern und der kleinen ARD-Anstalt.

Alles begann mit einem „buten un binnen“-Beitrag vom 24. Mai. Unter dem Titel „Mit dem Graffittimobil durch Oldenburg“ zeigte das Regionalmagazin wie Ein-Euro-Jobber zur Reinigung von besprühten Hauswänden herangezogen werden. Ein ehemaliger Häftling, der bei dem Projekt beschäftigt ist, erklärte in dem Beitrag, dass er „lieber dort arbeite, als zu Hause herum zu sitzen“. Danach rechnete er vor, dass er inklusive seiner ALG-II Bezüge auf einen Stundenlohn von über Sieben Euro käme.

Für die Montagsdemonstrantin Elisabeth Graf war der Beitrag ein Fall „stupider Volksverdummung“, den „die Bild-Zeitung nicht besser hingekriegt hätte“. Es sei „unverantwortlich, für die menschenverachtenden Ein-Euro-Jobs, die sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vernichten, die jahrzehntelang erkämpfte Arbeitnehmerrechte in die Tonne treten“ Werbung zu betreiben, schrieb sie tags darauf an Radio Bremen. Ob denn die Redakteure nicht wüssten, dass Ein-Euro-Jobber keine Lohnfortzahlung erhalten und keinen Urlaubsanspruch haben? Zudem würden sich die Trägergesellschaften mit den Billig-Jobs die Taschen voll machen, die Erwerbslosen aber mit einem Trinkgeld abspeisen. „Warum erhalten nicht anständig bezahlte Maler einen solchen Auftrag, die Farbschmierereien von den Wänden zu entfernen?“ fragte Graf.

Und um die vermuteten Bildungslücken bei den Machern der „früher ja mal kritischen“, mittlerweile aber „zu einem richtigen Boulevardmagazin“ verkommenen Sendung zu schließen, lud Graf sie zur Montagsdemo ein. „Hier können sie erfahren, wie es im wirklichen Hartz-IV-Leben zugeht.“

Radio Bremen lehnte die Einladung dankend ab. Der Bericht verzerre nichts, sondern gebe die Äußerungen eines ganz normalen Hartz-IV-Empfängers wieder, antwortete die „Fernsehen aktuell“-Chefin Silke Hellwig postwendend an Graf. Das positive Bild von den Ein-Euro-Jobs sei das gute Recht des jungen Mannes. Radio Bremen „kaut den Zuschauern nicht vor, was sie zu denken haben.“ Diese könnten sich nämlich eine eigene Meinung bilden. Die bubi-Redaktion sei auch dazu in der Lage, schloss Hellwig. Deshalb komme diese auch nicht zu den Demos.

„Klarer kann man nicht sagen, dass man nicht gewillt ist, den Zuschauer mit den nötigen Informationen zu versorgen“, urteilten die Montagsdemonstranten. Mit gesalzenen Kommentaren versehen stellten sie Hellwigs Zeilen noch am selben Tag auf ihre Homepage, ebenso wie kurz darauf die Bremer Linkspartei. Für die TV-Redakteurin hörte da der Spaß auf. Es handele sich um die Antwort auf Zuschauerpost, mithin also private Korrespondenz, schrieb sie an Gerolf Brettschneider, den Webmaster der Montagsdemo. Zwei Mal, zuletzt am Samstag, forderte sie ihn auf, den Brief „umgehend“ wieder aus dem Netz zu nehmen. Anderenfalls werde sich „unser Justiziar mit Ihnen in Verbindung setzen müssen.“

Die Montagsdemonstranten denken nicht daran. „Hellwig ist als ‚Abteilungsleiterin Fernsehen aktuell‘ eine öffentliche Person, die Montagsdemo ist eine öffentliche Veranstaltung“, sagt Brettschneider. Er glaubt, dass Hellwig ihnen deshalb ihren „Justitiar auf den Hals hetzen“ will, weil „sie ihre ungewollt aufschlussreichen Äußerungen nun reuen“. Die Demonstranten wollen es auf eine Auseinandersetzung ankommen lassen, sagt Elisabeth Graf. Die allein erziehende ALG-II-Bezieherin hat 180 der 183 Bremer Montagsdemos mitgemacht. „Dass die noch nie über uns berichtet haben, uns nun aber ihren Anwalt schicken wollen“ findet sie skandalös.

Hellwig selber ist das Ganze mittlerweile lästig. Auf Anfrage lehnt sie, reichlich kurz angebunden, jede Äußerung zu der Angelegenheit ab. Juristisch stehen ihre Chancen nicht schlecht, die unliebsamen Zeilen aus dem Netz entfernen zu lassen: „Hier ist in das Frau Hellwig zustehende Veröffentlichungsrecht eingegriffen worden,“ sagt der Bremer Urheberrechtsexperte und Fachanwalt für IT-Recht Lambert Grosskopf. Und trotz Hellwigs Position liege auch kein das Urheberrecht „überragendes Bedürfnis der Meinungs- und Pressefreiheit“ vor, weil Hellwig in dem Brief kein schwerwiegendes journalistisches Fehlverhalten eingeräumt hat, so Grosskopf.