: Kanada entschuldigt sich bei Ureinwohnern
Premierminister Harper bittet Indianer, Inuit und Metis um Verzeihung für Misshandlungen und die Entfremdung von Kindern in Sonderinternaten von ihrer Kultur. Im Gegensatz zu Australien zahlt die Regierung auch Entschädigungen
WASHINGTON taz/dpa ■ Solche Worte sind auf dem nordamerikanischen Kontinent nicht oft zu hören: „Im Namen der kanadischen Regierung und aller Kanadier stehe ich vor euch, um mich für die Rolle der kanadischen Regierung in dem Indianerinternatssystem zu entschuldigen“, sagte am Mittwoch Kanadas Premierminister Stephen Harper.
In einer als „historisch“ gelobten und schon länger erwarteten Rede entschuldigte Harper sich bei mehreren zehntausend indianischen Ureinwohnern des Landes für jahrzehntelange Misshandlungen. Es sei falsch gewesen, die Kinder der Ureinwohner aus ihren Familien und Gemeinschaften zu reißen, um sie in Sonderinternaten ihrer Kultur, Sprache und Traditionen zu berauben, räumte Harper, ein Konservativer, vor dem Parlament in Ottawa ein. Der Ministerpräsident nannte es ein „trauriges Kapitel“ in der Geschichte des Landes und bat die Opfer um Verzeihung. Man habe versucht, „den Indianer im Kind zu töten“. „Heute sehen wir, dass die Politik der Assimilierung falsch war, großes Leid verursachte und keinen Platz in unserem Land hat“, sagte Harper. Im Parlamentssaal saßen einige Vertreter jener Indianer, die das Umerziehungsprogramm noch miterlebt haben. Die Auswirkungen seien verheerend gewesen und hätten der Kultur, dem Erbe und der Sprache der Ureinwohner nachhaltigen Schaden zugefügt, sagte Harper.
Nachforschungen hatten ergeben, dass tausende Kinder von Indianern, Inuit und Metis in den insgesamt 132 Umerziehungsanstalten des Landes – die meisten davon unter Leitung der Kirche – misshandelt worden waren. Das erste Internat öffnete in den 1890er Jahren, das letzte wurde erst 1996 geschlossen. In deren Obhut erlitten die insgesamt 150.000 Kinder, die dieses System durchliefen, häufig schwerste mentale, physische und sexuelle Misshandlungen. Im Jahr 2006 hatte die Regierung in Ottawa bereits Entschädigungszahlungen in Höhe von knapp zwei Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Euro) bewilligt.
„Nicht nur, dass sie diese Misshandlung als Kinder erlitten haben. Als sie dann selbst Eltern wurden, waren sie machtlos, ihre Kinder davor zu bewahren, dieselben Erfahrungen durchzumachen. Und dafür entschuldigen wir uns“, sagte Harper. „Viel zu oft“ hätten die Internate auch „zu Missbrauch und Verwahrlosung geführt“, sagte Harper. Auch dafür entschuldigte er sich.
Auch Stephane Dion, Chef der heute oppositionellen Liberalen Partei, die im vergangenen Jahrhundert mehr als 70 Jahre die kanadische Regierung führte, räumte im Parlament die „Rolle und Mitverantwortung seiner Partei an dieser Tragödie“ ein. „Es tut mir sehr leid“, sagte er.
Die Reaktion der Opfervertreter war zunächst positiv. Phil Fontaine, Chef der Versammlung der ersten Nationen, in der sich die kanadischen Ureinwohner organisiert haben, trat in vollem Ornat vor die Abgeordneten: „Tapfere Überlebende, die ihre leidvollen Geschichten erzählt haben, haben der weißen Vormacht ihre Autorität und Legitimation entrissen“, sagte Fontaine, selbst Opfer der Umerziehung. „Manchmal schneiden die Erinnerungen an die Internate wie gnadenlose Messer in unsere Seelen. Dieser Tag wird uns helfen, den Schmerz hinter uns zu lassen.“
Im Febuar hatte sich die australische Regierung für ähnliche Misshandlungen, die dort an den Kindern der Aborigines begangenen wurden, offiziell entschuldigt. Anders als Kanada lehnt Australien Entschädigungszahlungen aber ab. AW