: Die Stimmung war superangenehm
Klage, der Blog von Rainald Goetz, feierte mit einem rauschenden Fest in Berlin Abschied aus dem Internet
In den letzten Tagen war Klage, der Blog von Rainald Goetz, plötzlich sehr bunt geworden. Erst hatte nur am aktuellen Tag eine rote Einladung gestanden. Dann hatte der Schriftsteller immer mehr Tageseinträgen eine Einladung in unterschiedlichen Farben beigefügt. Nun fand der Blog von Rainald Goetz nach fast anderthalb Jahren ein Ende. Die Einladung zum Abschied war eine schöne Geste an die, die sich die Mühe gemacht hatten, den Dichter in seinen Gedanken zu begleiten.
Das Fest im Atelier der Künstlerin Anne Neukamp hatte begonnen, während das EM-Spiel zwischen Russland und den Niederlanden noch lief. So war die kurze Textaktion schon zu Ende, als ich das Atelier im vierten Stock eines Gebäudes in der Oranienstraße betrat.
Alles war supervoll und schwül in dem Raum, so dass man gleich anfing zu schwitzen. Alles sei völlig chaotisch und großartig gewesen, berichtete C. Rainald Goetz hätte nach einleitenden Sätzen, in denen er das Internet gefeiert habe, Positionen klargemacht. Er hätte sich gegen Benjamin von Stuckrad-Barre, den ehemaligen taz-Autor und jetzigen BZ-Schreiber, gewandt, der neulich in Cicero über die taz hergezogen war und den Goetz früher sehr mochte.
Dann sei es um einen Satz von Frank Schirrmacher gegangen, in dem der Dichter all das versammelt gefunden hatte, wogegen sich sein ganzes Schreiben und Sein richte. Eine furchtbare Feistheit des Denkens.
Die Musik war sehr schön und aus unterschiedlichen Zeiten. Die Stimmung war superangenehm. Die einen kamen wohl vom Schreiben, die anderen vom Lesen. Julia Schulz und Georg Nolte legten die Musik auf und warfen manchmal ihre Arme in die Luft. Wir tanzten zu David Bowies „Let’s Dance“, und Rainald Goetz sagte, er hätte Bowie erst durch diese, von Puristen gehassten Platte, toll gefunden, und ich erzählte, wie ich damals auf drei Konzerten der „Let’s Dance“-Tournee gewesen war.
Wir dachten zurück an Klage. Klage war ja immer auch der Einspruch gewesen; die Klage der Wirklichkeit gegen die Literatur, also Maxim Biller, dessen Fall eines der großen Themen des Blogs gewesen war, die Klage, die Rainald Goetz gegen seine Telefongesellschaft geführt hatte; die Klage der Trauer über die Welt und den Tod. Als Klage begonnen hatte, hatte es zunächst richtige Anfeindungen gegeben, weil der Blog auf den Seiten von Vanity Fair erschien und alle die Zeitschrift doof fanden. Später hatte Rainald Goetz sich warmgeschrieben und alle waren plötzlich zu Klage-Fans geworden. Es hatte die großen Wutausbrüche – gegen die Familienministerin – gegeben, viel Fragmentarisches, Gedichte immer wieder, kleine und große Rezensionen von Büchern und Ausstellungen, immer wieder war es um das Schreiben, um Text und Wirklichkeit gegangen. Lustige Trottel wie Qualli waren des Wegs gekommen. Rausch- und Rauchverbote und das Plusquamperfekt waren thematisiert worden. Manche Passagen waren offene Zwiegespräche mit anderen Autoren gewesen.
Der Dichterfreund trug Jeans und ein prima Jackett. Er schwitzte und war wohl glücklich. So viele Zeiten gingen durcheinander, weil man einander ja auch schon so lange kennt. Irgendwann war er verschwunden, und die Oranienstraße sah wunderschön aus in der Morgendämmerung.
Auf der Rückseite von „Irre“ hatte: „Don’t cry – work“ gestanden; im Blog hieß es dann „Don’t work – Cry“. DETLEF KUHLBRODT