boxen, techno etc.
: Extrafettheit im Berghain

Ein wenig taub ist man Stunden später immer noch. Während der große Feuillitonstreit um die zukünftige Gestaltung des Hauptsaals der Berliner Staatsoper Unter den Linden noch lange nicht ausgestanden ist, hat das Berghain in der Hauptstadt Fakten geschaffen. Dieser Technoclub ist neben der Philharmonie der schönste Ort der Stadt, um Musik zu hören – und seit Donnerstagnacht hat er eine neue Anlage. Nicht dass irgendjemand jemals Grund gehabt hätte, sich über die alte Anlage zu beschweren, mit der der Club bisher seine Besucher beschallte. Aber die Betreiber des Berghain sind Perfektionisten. Deshalb hängen nun zwei Lautsprecher zusätzlich vor und hinter der Tanzfläche, statt der alten vier Boxentürme gibt es nun also deren sechs.

Es war ein ganz erstaunlicher Abend, als sie sich zum ersten Mal beim Partyvolk bewähren mussten. Er begann mit einer der längsten Schlangen in der Geschichte des Berliner Nachtlebens. Viele hundert Meter lang standen die Besucher im märkischen Sand, um das ehemalige Heizkraftwerk zu betreten, dem der Ruf voraneilt, der beste Technoclub der Welt zu sein. Von überall her war man angereist, um dabei zu sein, wenn die DJs Richie Hawtin, Ricardo Villalobos, Shed und Mia die neue Anlage einweihten. Und wer sich vor diesem Abend noch darüber lustig gemacht hatte, dass Leute, die ankündigten, aus dem fernen Kanada extra für diese Party anzureisen, sich Sorgen machten, ob sie auch am Türsteher vorbeikommen würden, wurde eines Besseren belehrt: Mitunter kamen sie wirklich nicht herein.

Techno mag sich spätestens seit dem Ende der Love Parade aus der Berliner Selbstwahrnehmung in den Underground zurückgezogen haben. Doch für den Rest der Welt gehören diese Musik und die deutsche Hauptstadt zusammen wie Kingston und Reggae. Eine ziemlich erstaunliche Erfolgsgeschichte, die dem Umstand, dass es noch immer einige innerstädtische Brachflächen gibt, genauso viel schuldet wie dem Liberalismus der Berliner Behörden, die genau wissen, wie viel Geld Wochenende für Wochenende von Easyjet-Ravern in die Stadt getragen wird, die hier eine Feierfreiheit finden, die man in den meisten anderen europäischen Stadten vergeblich sucht.

Und? Hört es sich nun anders an als zuvor? Der Euphoriker ist geneigt, Ja! zu rufen – Ja! Ja ! Ja! –, die besondere Klarheit des neuen Klangs zu loben, die Extrafettheit, mit der man nun die Tracks um die Ohren gehauen bekommt. Tatsächlich hat man natürlich überhaupt keine Ahnung; ohne Vergleich kein Urteil, das kennt jeder vom Boxenkauf. Und die Tanzfläche kam einem ohnehin die meiste Zeit vor wie ein dicht geschichteter Nudelauflauf, so viele Leute versuchten ihr Glück. Wann wird das Berghain Weltkulturerbe? TOBIAS RAPP