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hamburger szeneDie hohe Kunst der freien Rede

Als ich an einem verregneten Mittwochabend durch die Altonaer Altstadt schlendere, fühle ich mich an das antike Athen erinnert: Mitten in der Großen Bergstraße thront ein hagerer Greis auf einem hölzernen Hochsitz und verkündet der Umwelt mit krächzender Stimme seine Meinung. Er trägt zwar keine Tunika, dafür hat er ein Megaphon, das so groß ist, dass er es nur mit beiden Händen halten kann.

Die plärrenden Laute sind schon von weitem zu hören. Dennoch haben sich nur magere sechs bunte Regenschirme zu Füßen des Redners versammelt, um seinen Ausführungen zuzuhören. Diese drehen sich mal um Studiengebühren und Kopftücher in Hamburg, mal um Mönche in Tibet. Vor allem aber drehen sie sich um sich selbst.

Der Alte macht den Eindruck, als suchte er nicht nur Zuhörer, sondern auch Gesprächspartner. Doch dafür will sich niemand so recht finden. Die meisten Passanten eilen hastig vorbei: einige lachen, die anderen gucken bloß skeptisch.

Allein als er das Thema Arbeitslosigkeit anschneidet, ertönt plötzlich doch noch so etwas wie eine Erwiderung: Im Vorbei-geschoben-Werden schreit ein Baby wie am Spieß. Volkes Stimme ertönt – aus einem himmelblauen Kinderwagen.

Nach kurzem Innehalten fährt der alte Mann da oben fort. So richtig ernst will ihn immer noch keiner nehmen. Irgendwie tut er mir leid. Altona-Altstadt ist nicht das Athen der Klassik. Und, klar, damals war alles besser. CLAAS RELOTIUS

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