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Archiv-Artikel

Ein Nichtasiat mit magischen Kräften

Timo Boll ist in China ein Superstar. Die Chinesen bewundern ihn für seine Disziplin, seine Technik – und seine Freundlichkeit

PEKING taz ■ Auf Chinesisch heißt Timo Boll sinngemäß „die Welle“ (Bo’er). Da ist es kein Wunder, wenn sich Komplimente unter Chinesen schon mal selbst überrollen. „Der spielt so gut Tischtennis, der muss chinesische Vorfahren haben“, sagt Rentner Wu mit ernster Miene, „Ausländer sind doch sonst nur gut mit großen Bällen.“ Seine Frau stößt ihn grob in den Rücken. Ihr Mann meine es nicht so, sagt die Dame im weißen T-Shirt der freiwilligen Sicherheitspatrouille des Nachbarschaftskomitees. Noch gestern habe er gesagt, dass er so einen Ausländer sogar als Schwiegersohn akzeptieren könne. Wu grunzt. „Ja, er sieht klasse aus, schade, dass er schon verheiratet ist“, meint eine andere Freiwillige, „aber er soll ja ein ganz treuer Ehemann sein.“ Wus Frau stößt ihren Ehemann wieder in die Seite. „Aber genutzt hat ihm das gegen unser Doppel auch nichts“, blafft er die Frauen an und grinst, als diese den Kopf schütteln.

Timo Boll ist in China nicht einfach nur Spitzensportler, sondern Superstar. Wer ihn nicht kennt, wird meist vom Nebenmann mit harschen Worten aufgeklärt: der deutsche Tischtennisspieler, der es „mit uns aufnehmen kann“. Trotz der Niederlage des deutschen Doppels gegen das chinesische Duo finden die chinesischen Medien doch lobende Worte für den „Kampfgeist“ des Deutschen. Er bleibe ein ernst zu nehmender Gegner der Chinesen im Einzelwettkampf, schreibt die Neue Pekinger Zeitung. Und sie widmet ihm noch einen eigenen Artikel inmitten des zweiseitigen Siegesrauschs über Chinas erstes olympisches Männermannschaftsgold im Tischtennis. Chinesischer Internetnutzer des Forums Tianya verteidigen die chinesischen Begeisterung für Boll sogar gegen vereinzelte hämische Mitkommentatoren.

So viel Lob ist schon fast unheimlich. Woher kommt dieser Kultstatuts? Wang Huan, Sportreporterin bei der Nachrichtenagentur China News, lacht. „Zum einen ist es der über Jahre anhaltende sportliche Erfolg“, sagt die 31-jährige Tischtenniskommentatorin. Es beeindrucke Chinesen ungemein, wenn ihnen ein Nichtasiat in ihrer Königsdisziplin das Wasser reichen könne, sagt die studierte Sportmanagerin. Seitdem Boll 16 ist, kennt sie ihn und verfolgt seine Karriere. Er habe einen sehr großen Trainingsfleiß und eine eiserne Disziplin, aber auch eine fast magische Sehkraft. In den chinesischen Medien lese man oft, dass Boll das Druckzeichen auf beiden Seiten des Tischtennisballs gleichzeitig sehen könne, lacht Wang. Auch technisch habe er Weltklasseniveau. „Er spielt sehr überlegt“, analysiert die Journalistin, „bei jedem Ball ist er voll konzentriert.“

Aber das allein sei es nicht, was die chinesischen Fans so begeistert. Der junge Deutsche sei zudem sehr bescheiden und offen gegenüber dem Reich der Mitte. „Dass er sich klar gegen einen olympischen Boykott ausgesprochen hat, rechnen ihm viele Chinesen hoch an“, meint Wang. Als Tischtennisspieler sei er oft in der Volksrepublik und habe dort auch immer wieder sein Interesse an China signalisiert. Wang selbst hat sehr beeindruckt, dass er sich nach langen Spielen immer wieder Zeit für die vielen Autogrammwünsche der chinesischen Fans nimmt. „Einfach ein sympathischer Kerl“, schwärmt auch die Sportjournalistin.

Für ihren Kollegen Wang Xiaoshan vom chinesischen Magazin Sports Illustrated liegt Bolls Beliebtheit dagegen wesentlich einfacher gelagert. „Er lächelt einfach immer so unverschämt gewinnend“, lacht Wang, „da schmelzen die Frauenherzen dahin und der Ball auch.“ Boll solle ihm mal verraten, wie er das macht, scherzt der Journalist.

KRISTIN KUPFER