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Archiv-Artikel

Der Dopingtest

Fragen deutsche Medien immer nur nach dem Doping der anderen? Was ausländische Sportjournalisten zur Berichterstattung sagen

DEUTSCHE AUF DOPE

„Ach, jetzt hören Sie aber auf! Ich hab’ nie gedopt! Aber darf ich mal ’ne Frage stellen: Warum bekommt man immer im deutschen Fernsehen solche Fragen gestellt und warum steht das ganze Gespräch immer unter diesem Zeichen? Ich hab’ überhaupt kein Problem damit, Fragen zu Doping zu beantworten. Aber jedes Mal, wenn ich zum deutschen Fernsehen komme, dominiert dieses Thema das Gespräch. Warum?“Michael Johnson, 40, Ex-US-Leichtathlet und Weltrekordhalter war im ZDF zu Gast bei Johannes B. Kerner, der ihn fragte: „Haben Sie jemals gedopt?“

AUS PEKING ANDREAS RÜTTENAUER

„Die Amerikaner haben Michael Phelps, aber wir sind genauso gut.“ Ma Wenguang lacht ins Mikrofon. Es ist sein großer Auftritt. Gerade ist der Chef des chinesischen Gewichtheberteams in den großen Pressekonferenzsaal im olympischen Medienzentrum einmarschiert. Hinter ihm seine acht besten Athleten. Sie alle haben in Peking eine Goldmedaille gewonnen. Applaus brandet auf, als die starken Männer und Frauen durch den Eingang schreiten. Später sagt Ma: „Dieser Erfolg wäre ohne die Mithilfe der Freunde von der Presse nicht möglich gewesen.“ Wieder lacht er. Er fühlt sich wohl.

Ma ist gekommen, sich und sein Team feiern zu lassen. Fast ausschließlich chinesische Medienvertreter interessieren sich an diesem Tag für Chinas Heber. „Ist es nicht schön, dass es bis jetzt noch keinen Dopingfall bei den Gewichthebern gibt“, fragt eine Reporterin von der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Ma lächelt weiter und sagt: „Ja. Es wäre schrecklich, wenn Doping in dieser Sportart verbreitet wäre.“ Warum die chinesischen Gewichtheber so stark seien, will einer wissen. Harte Ausbildung, eine gute Basisarbeit, neue Trainingsrhythmen und -methoden. So einfach ist das. Und genau so wird es am nächsten Tag wohl in der chinesischen Presse zu lesen sein. Umstellung des Trainings, höhere Intensitäten, volle Konzentration auf den Sport. Michael Phelps erklärt seine Erfolge auch nicht viel anders als die chinesischen Gewichtheber. In den USA wird er gefeiert, er soll zum Superstar aufgebaut werden. Doping ist kein Thema in den Berichten über den Schwimmer. „Das amerikanische Volk wünscht sich einfach einen neuen Star“, sagt Michael Vaccaro jr., Sportkolumnist bei der New York Post. „Es gab so viele Dopingfälle in den letzten Jahren, da schwingt auch die Hoffnung mit, dass bei Phelps alles sauber ist.“ Als er hört, dass in vielen Berichten deutscher Journalisten über den 14-fachen Olympiasieger auch der Verdacht geäußert wird, bei Phelps Rekorden gehe es nicht mit rechten Dingen zu, fragt Vaccaro: „Warum? Weil er Rekorde schwimmt? Weil er so viele Rekorde schwimmt?“ Für ihn ist das zu wenig, um in seinen Kolumnen Phelps in die Nähe von überführten Dopingsündern zu bringen. Er baut mit am Denkmal für den Schwimmheros.

Wann haben Sie Geburtstag? In welchem Jahr nach dem chinesischen Horoskop sind sie geboren? Wie haben sie ihren 16. Geburtstag gefeiert? Als der Verdacht aufkommt, chinesische Turnerinnen hätten bei ihren Altersangaben geschummelt, nehmen US-Journalisten die kleine He Kexin regelrecht ins Kreuzverhör. Sie hat mit ihrer Leistung gerade dazu beigetragen, die US-Riege zu schlagen. „Stimmt, das war wahrscheinlich der Grund“, sagt Vaccaro. Dann kommt er wieder auf Phelps zu sprechen: „Wir lassen uns die schönen Geschichten nicht so einfach nehmen. Hoffentlich bereuen wir das nicht schon bald.“ Trotz all der Dopingfälle, dem Balco-Skandal, der steroidverseuchten Baseball-Liga habe sich im amerikanischen Sportjournalismus nicht grundsätzlich etwas geändert. Es würden immer noch die schönen Lesegeschichten mit Anekdoten aus der Kindheit und herzergreifenden Schlüsselerlebnissen geschrieben. Auch Vaccaro war Augenzeuge des 100-Meter-Weltrekords von Usain Bolt am vergangenen Samstag. Auch er hat gesehen, wie etlichen Kollegen auf der Pressetribüne aufgestanden sind und geklatscht haben. Er ist sitzen geblieben.

„Ich kann das schon verstehen. Die Deutschen hatten viele Dopingfälle in den letzten Jahren“, sagt Kevin Davis über die kritische deutsche Berichterstattung und erinnert an den britischen Sprinter Linford Christie. Als dieser 1999 positiv getestet wurde, sei es auch in der britischen Presse beinahe nur noch um Doping gegangen. Davis ist für den englischen Daily Star bereits zum siebten Mal bei olympischen Spielen. Er würde in einem Artikel nie einen Dopingverdacht äußern, solange es keine handfesten Beweise gibt. Auch weil er glaubt, dass Phelps schon jetzt ein Team von Anwälten beschäftigt, das jeden verklage, der den Schwimmer des Dopings bezichtigt.

Davis lässt seinen Blick über das Pressezentrum schweifen. Dann zeigt er auf eine Gruppe Journalisten. Die sind als Russen leicht zu erkennen, weil sie im offiziellen Olympiadress des russischen Teams unterwegs sind. „Das hasse ich“, sagt Davis. Genauso hasst er es, wenn Journalisten den Sportlern ihres Heimatlandes applaudieren. Auch deutsche Journalisten werden bisweilen von Heimatgefühlen übermannt. Als der Deutsche Olympische Sportbund am Sonntag die Medaillengewinner des Vortages der Presse vorführte, klatschten etliche Reporter. Eine Frage zum Thema Doping wurde nicht gestellt.