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Archiv-Artikel

Köln in der Küche

Ein Rheinländer betreibt in seiner Hamburger Wohnung ein Büdchen. In der umgebauten Küche des Design-Studenten treffen altes und junges St. Pauli aufeinander und trinken zusammen Kölsch. Die Design-Professoren vergaben dafür eine 1,0

Während der Salon auf sozialer Segregation beruhte und diese spiegelte, ist Chilphils Küche offen für alle

VON ADRIAN PICKSHAUS UND MAXIMILIAN PROBST

Manche glauben, ein Büdchen sei nichts weiter als ein schnöder Kiosk. Sie halten sich dabei an den ersten, oberflächlichen Eindruck, nehmen etwa zur Kenntnis, dass in beiden Zeitungen und Zigaretten vertickt werden. Nun lässt sich im Büdchen zwar auch Klopapier finden, Käse oder Haargel. Entscheidend aber ist: neben diesen Waren, die der Mensch für seinen alltäglichen Bedarf zu brauchen meint, wird ein viel wichtigeres Gut im Büdchen umgeschlagen: das Wort. Denn in Köln ist das Büdchen ein Ort der Begegnung, der ungezwungenen Rede. Und so weiß der Büdchenbetreiber früher oder später über alles Wissenswerte im Viertel Bescheid: Wer mit wem, seit wann, warum.

Eins dieser Zentren rheinischer Gesprächslust liegt im Herzen Hamburgs, im Karoviertel. Dort muss man sich durchfragen, zu „Chilphil“, zu dem Büdchen, das der Exilkölner jeden Samstag in der Küche seiner Wohnung betreibt. Auf der Klingel am Haus steht der bürgerlicher Name: Schöde.

Von Philip Schödes Küche ist allerdings nichts mehr zu sehen. Wer sie betritt, wähnt sich zurück auf der Straße: Stehtische, Stühle und Bänke sind auf schwarzem Teer gruppiert, auf dem mit Dachpappe abgeklebten Dielenboden. Eine Wand ist mit einer Fototapete im Backstein-Design überzogen, ein Kaugummiautomat hängt daran. Die Spüle und Arbeitsplatte sind in einen Verschlag integriert, darüber eine Leuchtreklame, die in schwungvollen Lettern das Wort „Büdchen“ ziert.

Zentrum der Konstruktion aus Hartpappe und Sperrholz ist der Verkaufsschalter mit seiner breiten Ladentheke. Eingerahmt von Langnese-Plakaten und Zeitungsständern, öffnet sich hier das Tor in die kölsche Dimension. Ein Fortuna-Köln-Schal hängt neben einem Poster der Bläck Föös, eine Autogrammkarte von Toni Schumacher klebt neben einer Werbung für den Kölner Express. Darunter Regale voll Waren, wie man sie im Büdchen so findet: Zigarettenpapier, Feuerzeuge, Zeitungen. Weingummisorten, wohl sortiert in Nummernfächern. Tic-Tac, Twix und Ahoi-Brause – all die Verlockungen der Kindheit, die auch noch Erwachsene in Versuchung führen.

Chilphil legt nach. Ein langer Treck von Bierflaschen der Marke Gaffel Kölsch wandert aus dem Kasten in den Kühlschrank. „Ich hab’ auch noch Früh Kölsch im Angebot“, erklärt er in breitem rheinischen Dialekt, „aber Gaffel is’ bei den Gästen beliebter.“ Chilphil ist groß und schlaksig, mittellange braune Haare hängen in die Stirn seines schmalen Gesichts. Er ist 30, sieht aber aus, als habe er gerade Abi gemacht. Seine Kleidung entspricht dem Hip-Hop-Look der 1980er Jahre: Gelb-rote Basketballstiefel, hellblaue Levi‘s-Jeans, schwarzer Kapuzenpullover der Pittsburgh Steelers.

Köln hat Schöde vor neun Jahren verlassen. Vorher hatte er sich durchs Abitur gequält, danach zwei Jahre lang nur gekifft, Graffiti gesprüht, ein paar Collagen gebastelt. „Ich kam einfach nicht vorwärts in der Stadt. Ich brauchte einen Tapetenwechsel. Berlin war mir ’ne Nummer zu groß, da ging ich halt nach Hamburg.“ Phil sagt das, während er einem Düsseldorfer Besucher ein Spezi im Altbierglas serviert. Zunächst schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, dann begann er, in Hamburg Kommunikationsdesign zu studieren. Er zog in die Wohnung im Karoviertel, auf 40 Quadratmeter Altbau. Zu viel für ihn allein, sagt er. Phil suchte nach Möglichkeiten, andere teilhaben zu lassen. Er wollte den Raum gestalten, ihn zum Dialog mit den Menschen zwingen. Die erste Idee war eine Pizzeria. Dann besann sich Phil auf seine Herkunft – und begann mit dem Büdchenbau.

Kurz nach der Fußball-WM 2006 stieg die Eröffnungsparty. Seitdem haben an die 2.000 Besucher bei Phillip Schöde geklingelt und das eine oder andere Kölsch geleert. Eine Schanklizenz hat Chilphil nicht. Dafür beglaubigte Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma seine Küche als „nördlichsten Stadtteil der Domstadt“. Das Schreiben hängt hinter Glas an der Büdchenwand. Ein Versuch, das Büdchen von Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, per Telefon weihen zu lassen ist dagegen gescheitert.

Geweiht worden ist das Büdchen dann trotzdem noch: als Kunstobjekt. Denn die umgebaute Küche ist Chilphils Einnahmequelle – und zugleich Phillip Schödes Diplom-Arbeit im Studienfach Gestaltung an der HAW. Die Professoren von der Armgartstraße zeichneten die Arbeit mit der Note 1,0 aus, überzeugt auch vom theoretischen Überbau der Installation: „Durch das Büdchen im Innern meiner Wohnung wird das Drinnen zum Draußen. Ich stelle den Menschen ein Stück meines privaten Raumes als öffentlichen Raum zur Verfügung“, wie Chilphil jetzt noch einmal erklärt. Wichtig sei das gerade in Zeiten, in denen gesellschaftliche Freiräume von einer gierigen Kommerzialisierung verschlungen würden.

Man könnte Chilphils Büdchen noch etwas anderes zugute halten: Es greift eine alte Traditionslinie auf – die des Salons und der Soirée –, und gibt ihr einen gänzlich neuen Dreh. Das Büdchen ist eine wunderbare Zweckentfremdung dieser aristokratischen und später großbürgerlichen Praxis, eine Aneignung in subversivem Sinne, eine Ent-Eignung. Denn während der Salon auf sozialer Segregation beruhte und diese spiegelte, ist Chilphils Küche offen für alle. In ihr spiegelt sich, wenn überhaupt, nur die stadträumliche Trennung wieder und mit der geht glücklicherweise im durchmischten Karoviertel noch keine soziale einher.

Gerade ist Pude, ein Bauarbeiter, gekommen. Chilphil sagt, er schlage jeden Samstag hier auf, trinke ein paar Stangen. „Weil man immer nette Leute aus der Nachbarschaft trifft. Außerdem ist das Bier billiger als in den andern Kneipen im Viertel“, grummelt Pude in seinen langen Ziegenbart, bevor er wieder an einer Selbstgedrehten zieht.

Flo, Mitte Zwanzig, auf dem Kopf die Baseballkappe, an den Füßen neue Nike-Turnschuhe, ist dagegen zum ersten Mal im Büdchen. Ihn fasziniert vor allem der Design-Aspekt: „Die Detailverliebtheit und die Accessoires sind einfach der Hammer“, sagt er begeistert.

Lange wird sich das Büdchen allerdings nicht mehr bewundern lassen: Am 30. August öffnet es zum vorerst letzen Mal. Wer danach von Chilphil ein kühles Kölsch ausgeschenkt bekommen will, muss schon ein Stück Wegs in Kauf nehmen – fürs nächste halbe Jahr heißt das Programm „Büdchen on Tour“. In Australien.