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Archiv-Artikel

Dumm, dümmer, Kunst

Der Däne Marco Evaristti will einen Hingerichteten an Fische verfüttern. Eine Aktion, die zeigt, wie minderbegabte Künstler auf sich aufmerksam machen können. Geht es eigentlich noch dämlicher?

VON JÖRG SUNDERMEIER

Die Boulevardmedien sind begeistert. Die Kunst biedert sich ihnen erneut an! Seit Donnerstag können sie sich an dem dänischen Künstler Marco Evaristti abarbeiten, der verkündete, dass er die Leiche eines zum Tode verurteilten Amerikaners nach dessen Hinrichtung nach Deutschland verschiffen wolle, hier einfrieren und zu Fischfutter verarbeiten lassen will und dieses anschließend an Goldfische verfüttern. Oder an ein Ausstellungspublikum verfüttern – je nach Meldung. Dies wäre, so gab der Künstler an, ein Protest gegen die Todesstrafe. Ein Freiwilliger, der seine Leiche hergeben mag, sei schon gefunden. Von Bild bis Spiegel Online suhlte man sich genüsslich im Ekelgefühl, während man die Story breit auswalzte. Ästhetische Fragen sind egal, Moral nur vorgeblich interessant, Hauptsache, eine Nachricht entsteht.

Soap-Opera-Niveau

Viele minderbegabte Künstler wissen seit dem Ende des Kalten Krieges, dem ein neuer bisher nicht folgte, nicht mehr wohin mit ihrem Engagement. Die Kommunisten hatten seinerzeit, stärker noch als die Sozialdemokraten oder die jeweiligen Kirchen, im 70-jährigen Systemkonflikt vergessen, was Kunst ist (oder sie verboten), und diese durch Gesinnungsbelege ersetzt. So wurden statt Dramen nicht selten peinliche Erbauungsstücke gegeben, anstelle von vielschichtigen Romanen wurde Erbauungslektüre gedruckt, Filme auf Soap-Opera-Niveau sollten dem Kinopublikum die richtigen Lebensansichten vermitteln und auch der bildenden Kunst wurde alles Subversive ausgetrieben. Schon die Möglichkeit, dass es vielleicht noch einen Subtext neben der aufgedrängten Intention geben könne, machte den Gesinnungshütern jedes selbst noch so dämliche Kunstwerk grundsätzlich verdächtig.

Und das eben nicht nur im Osten. Auch im Westen kam es so zu jenem Verfall der Kunst, den sich Rechtsradikale immer erwünscht hatten. Doch es ging immerhin noch um Gesinnung. Heute, da parteiliches Engagement nicht mehr en vogue ist, agieren die meisten engagierten Künstler auf diffuse Weise humanistisch und künsteln in einer beschämend flachen Weise gegen Umweltverschmutzung, Hunger oder Armut.

Mehr als ein buntes „Krieg ist scheiße“, „Stopp dem Atomtod“ oder ein lautes „Bush ist doof“ kriegen sie nicht hin. Und darauf kann man sich ja immer irgendwie einigen. Dass aber das, worauf sich alle einigen können, auf die Dauer künstlerisch langweilt, wissen sogar diese Künstler.

Damit wir uns nicht falsch verstehen – Politik wird nur langweilig, wenn man sie ästhetisiert, der Protest gegen Armut oder Hunger ist nur langweilig, wenn er dumm ist. Kunst aber sollte mehr bieten als Parolen. Zu mehr als Parolen und platten Bildern sind allerdings diese Künstler, die imitieren, was einst aus schlechten guten Gründen hoch alimentiert und gefragt war, nicht fähig.

Dennoch merken sie instinktiv, dass etwas an ihren Kunstwerken nicht stimmt. Folglich versuchen sie das Nichts an Aussage zu kaschieren, indem sie immer größer, lauter, obszöner, kurz: provozierender werden.

Und sie erhalten Bestätigung, denn die Aufmerksamkeit der obligatorisch Empörten ist ihnen gewiss. Schon die Nazis hatten Kunstkritik durch „Kunstbetrachtung“ austauschen wollen, sie konnten allerdings zu ihrer Zeit nicht ahnen, dass diese „Kunstbetrachtung“ noch einmal durch die bloße Nachricht vom künstlerischen Akt, von der Größe des Werkes und selbstverständlich von seinem Preis ersetzt werden könnte, mithin also durch Produktinformationen.

Daher stellt man Sterbende aus oder verfüttert Leichen, aus Protest gegen just die Hinrichtung, die man für seine Kunstaktion notwendig braucht. Paradox? Egal. Es geht eh nur darum, die vorhergehende Aktion zu toppen.

Es geht noch absurder

Und stoppen kann man diesen ganzen Mist nur, indem man ihn offensichtlich seinerseits übertrifft. Ich verkünde also hiermit: nachdem ich zunächst den gesamten Eifelturm mit Diamanten besetzen und verpacken lasse (Protest gegen den Konsum), werden auf mein Geheiß hin 2.000 Aktivisten von der Weidendammer Brücke aus in die Spree scheißen (Protest gegen die Umweltverschmutzung), anschließend werde ich 40 nackte Nonnen aus den Türmen des Kölner Doms in den Tod springen lassen (Protest gegen Christenverfolgung im Nahen Osten), daraufhin werde ich zeigen, wie sich 200 Tibeter gegenseitig köpfen (Protest gegen die Globalisierung), um schließlich und letztlich ganz Rom zu bombardieren (Protest gegen den Verlauf der Geschichte).

Vielleicht hätten die blöden Kunstspektakel endlich ein Ende, wenn jemand das alles machen würde. Denn etwas Dümmeres kann wohl niemandem mehr einfallen. Oder?