Todgeweihte leben länger

Republikanischer Gouverneur setzt alle 167 Todesurteile im US-Bundesstaat Illinois außer Kraft. Begründung: Zu viele Fehler im System. Bush dagegen für Beibehaltung der Hinrichtungen

CHICAGO ap/afp ■ Mit einem beispiellosen politischen Entschluss hat der scheidende Gouverneur von Illinois, George Ryan, alle Todesurteile in dem nördlichen US-Bundesstaat aufgehoben. „Unser System der Todesstrafe ist heimgesucht vom Teufel der Fehler, Fehler in der Bestimmung von Schuld, Fehler in der Bestimmung, welcher Schuldige den Tod verdient“, sagte Ryan. Daher hebe er die Todesstrafe für die derzeit 167 Todeskandidaten in dem Staat auf. „Ich bin nicht bereit, das Risiko zu tragen, dass wir einen unschuldigen Menschen hinrichten könnten“, schrieb Ryan in einem Brief an die Familien der Opfer. Einige der Hinterbliebenen verurteilten seine Entscheidung.

Fast alle Strafen würden in lebenslange Haft ohne die Möglichkeit vorzeitiger Entlassung umgewandelt, sagte Ryan. Lediglich drei Häftlinge erhielten kürzere Haftstrafen und könnten sogar entlassen werden. Erst am Freitag hatte Ryan vier zum Tode verurteilte Gefangene begnadigt und auf freien Fuß gesetzt. Die Häftlinge saßen zwischen 12 und 17 Jahre in der Todeszelle und hatten erklärt, die Polizei habe von ihnen mit Folter falsche Geständnisse erpresst. „Ich habe diese Fälle überprüft, und ich glaube, dass hier Unrecht geschehen ist und die Verurteilten unschuldig sind“, erklärte Ryan.

Präsident George W. Bush unterstütze dagegen weiterhin die Todesstrafe für „gewalttätige und abscheuliche Verbrechen“, weil dies letztlich unschuldige Leben rette, sagte eine Sprecherin des Weißen Hauses. Dies solle nicht als Kritik an Ryans Entscheidung verstanden werden, die Sache des Bundesstaats Illinois sei. Der Vorsitzende der Organisation gegen die Todesstrafe, Steven Hawkins, erklärte, die Entscheidung bedeute „einen großen Wendepunkt in der Debatte über die Todesstrafe in den USA“. Die Gruppe begrüße Ryans Mut zu der Entscheidung.

Von 1973 bis 2002 wurden nach Angaben der Organisation Death Penalty Information Center 102 Todesurteile aufgehoben, nachdem sich die Unschuld der Häftlinge erwiesen hatte. 2002 wurden in den USA insgesamt 71 Menschen hingerichtet. GB

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