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Archiv-Artikel

Typen wie Zangengeburt

Wie man über den Fußball zum Schreiben kommt: Andreas Gläser liest im Kulturverein Prenzlauer Berg

Muss es ausgerechnet der Berliner Fußballclub Dynamo sein? Es gibt so schöne andere Fußballvereine: anständige, rechtschaffene – und er erwählt sich den Stasi-Club zu seinem Verein: den DDR-Rekordmeister von Mielkes Gnaden.

Wie man, 1965 geboren, in seiner Jugend BFC-Fan wird und warum man als gereifter Mann Mitte der Neunzigerjahre wieder in heller Liebe für den abgewirtschafteten Verein entflammt, davon schreibt Andreas Gläser in seinem Buch „Der BFC war schuld am Mauerbau“: Von der ersten Begegnung an einem Sonntag unter dem Viadukt der Schönhauser Allee, von Auswärtsspielen, Randale, verlorenen Schals wie erbeuteten Tran-sparenten und auch davon, dass die vermeintlich Guten wie der 1. FC Union auch nur Teil des DDR-Systems gewesen sind. Der Aufstieg des BFC an die Spitze der Oberliga und der Fall des „verhassten Monsters“ in die Niederungen der Regionalligen bildet eine der inhaltlichen Klammern dieser knapp 60 Texte.

Auf wenigen Seiten erzählt Gläser solche Geschichten vom Fußball, Ausschnitte aus einem Leben, das seinen Helden von einem Hinterhaus in der Gleimstraße im Sommer 1989 nach Westberlin und nach einigen Jahren in Schöneberg wieder zurück nach Prenzlauer Berg führt: ins Vorderhaus! Eine Aufstiegsgeschichte eines Sitzenbleibers, später doch noch erfolgreichen Absolventen der Polytechnischen Oberschule und gelernten Tiefbauers in die Höhen der Berliner Lesebühnenkultur.

Über den Fußball, schreibt Gläser in seinem Vorwort, kam er zum Schreiben, erste Geschichten veröffentlichte er unter dem Pseudonym Schlendrian in „verschiedenen Fußball-Punky-Fanzines“. Auf dem Bau herrschte seit Mitte der Neunzigerjahre die Krise, dafür boomte die Literatur. Gläser drängte auf die Lesebühnen der Stadt und gründete 1999 mit der Chaussee der Enthusiasten eine eigene. Sein Publikum wurde größer: Zu den Fans kamen Studenten, doch er betont, es sei ihm nicht nur um die anwesenden Psychologinnen, sondern auch um „Freibier und Klimpergeld“ gegangen.

Die proletarische Perspektive, die ihm der Verlag im Untertitel und Wladimir Kaminer im Klappentext zuschreiben, bedient und vermittelt er authentisch, zumindest für Nichtproletarier. Viele seiner Helden sind genau die Leute, von denen man stets fürchtet, sie könnten so oder so ähnlich in realiter irgendwo in den Eckkneipen lauern: Typen wie Zangengeburt – „Er is keine wirkliche Zangengeburt, er sieht nur so aus“ –, denen man nicht mal im Hellen begegnen möchte, genauso wenig wie den BFC-Fans mit weinroten Bomberjacken. Aber daheim am Ofen oder sicher im Saal mit vielen liest und hört man davon gern.

Hintereinander weggelesen zündet nicht jede Pointe und die kunstlos gereihten Sätze können auch ermüden, aber dann verknüpft er elegant einen Hohenschönhauser Bolzplatz mit einer Reise nach Malta, präsentiert, gekonnt berlinert, abstruse Dialogszenen oder schildert beklemmend-skurrile Eindrücke aus einer Kleingartenkolonie. Gläser selbst verortet sich als Literaturregionalligist: Das aber kann nicht das Ende sein. Ein bis zwei Aufstiege sind in jedem Fall noch drin. CARSTEN WÜRMANN

Andreas Gläser: „Der BFC war schuld am Mauerbau. Ein stolzer Sohn des Proletariats erzählt“. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2002, 220 S., 7,50 €. Heute, 19 Uhr, liest Andreas Gläser im Kulturverein Prenzlauer Berg, Bornholmer Straße 18