: Mineralität statt Fruchtdrops
Bei Viniculture in Charlottenburg gibt es Weine aus vergessenen regionalen Rebsorten, Teil 6 der taz-Serie über Berliner Weinhandlungen
Der Jura gilt als eine der einsamsten Bergregionen Frankreichs. Zugleich jedoch kommen aus dem Anbaugebiet an der Grenze zur Schweiz einige der außergewöhnlichsten Weine Europas. Der Vin jaune zum Beispiel, der „gelbe Wein“, der sechs Jahre lang unter einem Hefeflor reift und sich so zu einem extrem trockenen, konzentriertem, sherryartigen Getränk entwickelt. Oder ein Crémant aus der Chardonnay-Traube, der – wie Holger Schwarz von der Charlottenburger Weinhandlung Viniculture sagt – etwas „Heftiges und leicht Salziges“ hat. Weine, die auch ein erfahrener Sommelier wie Holger Schwarz gerade erst entdeckt.
Im Unterschied zu vielen anderen Berliner Weinhändlern ist Schwarz kein Quereinsteiger. Schon sein Großvater verkaufte im pfälzischen Landau Wein. Sein Vater, Hans-Günther Schwarz, war über 40 Jahre Kellermeister beim Pfälzer Spitzenweingut Müller-Catoir und bildete dabei an die 50 Winzer aus. Holger Schwarz machte eine Ausbildung als Restaurantfachmann, arbeitete im Hilton in London, absolvierte den Sommelierkurs der Hotelfachschule Heidelberg. Im Mai 2006 übernahm der heute 40-Jährige Viniculture von dem bisherigen Besitzer Christoph Schürenberg. Ein Jahr zuvor war Schwarz „Deutscher Meister der Weinfachberater“ geworden.
Keinen Rat, sondern fast schon eine Abfuhr bekommt man freilich, wenn man den Deutschen Meister fragt, welche Rebsorte er für besonders interessant hält. Nicht die Sorte sei entscheidend, sondern die Herkunft. Schwarz: „Ich muss in einem Wein das Terroir schmecken. Und ich muss verstehen, was ein Winzer mit seinen Weinen ausdrücken will.“
Zugleich jedoch sind es gerade die Rebsorten, mit denen Viniculture sich von anderen Weinhandlungen unterscheiden will. Schwarz sucht nach dem Vergessenen und dem Diskreditierten, nach Sorten, von denen entweder zu wenig oder zu viel erzeugt wurde. Dazu gehört neben Lambrusco und Soave aus Norditalien zum Beispiel auch der Müller-Thurgau. Und genau hier zeigt sich, was Schwarz will. Denn der Müller-Thurgau des fränkischen Weinguts Stahl aus Auernhofen schmeckt ganz anders als herkömmliche Weine dieser Sorte. Keine Töne von grünem Apfelshampoo oder Fruchtdrops, sondern schlanke, dichte Mineralität. Schwarz: „Die Vielfalt der Aromen, nach der suche ich.“
Tatsächlich ist es Schwarz gelungen, ein äußerst ungewöhnliches Weinangebot zusammenzustellen. Bekannte Namen fehlen bis auf wenige Ausnahmen wie etwa den Kultwein Le Pin aus Bordeaux oder einen Brunello von Poggio Antico aus der Toskana. Stattdessen gibt es kleine Weingüter und junge Winzer, die jedoch – wie Sébastien Vincenti vom südfranzösischen Mont Ventoux – in den letzten Jahren für Furore gesorgt haben. Breit ist das Angebot aus der Pfalz, das Weingut Theo Minges, das von der Zeitschrift Vinum gerade in die Liste der 100 besten Weingüter Deutschlands aufgenommen wurde, ist allein mit 14 Sorten vertreten.
Schwarz weiß, dass er mit seinem Angebot ein Risiko eingeht. Die Kunden würden zwar immer mehr von Wein verstehen, sagt er. Zugleich jedoch gebe es immer mehr „Markentrinker“, für die ein bestimmter Wein zu einem Statussymbol, zu einem Lifestyleprodukt geworden ist. Umso wichtiger sind für Viniculture die Weinseminare, die alle zwei Wochen stattfinden und bei denen man dann auch Unbekanntes vorstellen kann. Weine wie den Le Sauvageon aus dem Jura zum Beispiel, ein nach biodynamischen Anbauvorschriften hergestellter Weißwein aus der regionalen Rebsorte Savagnin. Ein Wein so vielfältig an Aromen, dass man immer noch über sie nachdenkt, wenn man ihn schon lange hinuntergeschluckt hat. SABINE HERRE
Die Weinhandlung: Viniculture, Grolmanstraße 44/45, 10623 Berlin, U-Bahnhof Uhlandstraße, www.viniculture.de, Tel.: (0 30) 883 81 74, Öffnungszeiten: Mo.–Fr. 11–20 Uhr, Sa. 10–18 Uhr
Das besondere Angebot: Viniculture bietet eine breite Auswahl an Champagnern, Obstbränden und Whiskys.
Der Weintipp von Holger Schwarz: 2007 St. Magdalener Classico, Ansitz Waldgries, Bozen, 10,50 Euro. „Dieser herbstliche Wein erinnert an einen Burgunder. Er ist samtig, hat eine mittlere Säure und duftet nach Sauerkirsche und Maulbeeren. Seine Frucht ist nicht bräsig und fett, sondern kühl und animierend. Besonders gut passt er zu Kässpätzle.“
Der nächste Teil der taz-Serie erscheint am Dienstag, den 28. Oktober