: Ahnungslos oder böswillig?
betr.: „Kein Streit für alte Fronten“ von Barbara Dribbusch, taz vom 18. 1. 03
Ich habe als Betriebsrat bei dem Großunternehmen Post AG und als ehrenamtlicher Arbeitsrichter eine Menge praktischer Erfahrung mit dem real existierenden „Kündigungsschutz“ machen dürfen, die das Gejammer von so genannten Mittelständlern, des Verbands „Unternehmensgrün“, der CDU oder auch des großen Zampano Clement zu diesem Thema bestenfalls lächerlich, schlimmstenfalls böswillig erscheinen lassen:
1. Der gesetzliche Kündigungsschutz aus dem KüSchutzG greift frühestens nach sechs Monaten. 2. Er betrifft nur ArbeitnehmerInnen mit unbefristetem Arbeitsvertrag. 3. Im Falle einer Kündigung endet das Arbeitsverhältnis mit dem Ende der Kündigungsfrist, eine Lohnfortzahlung bis zum Ende einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung gibt es nur im Falle eines wirksamen betriebsrätlichen Widerspruchs (in wie vielen Betrieben mit 20 bis200 Beschäftigten gibt es Betriebsräte?).
4. Das regelmäßige Ende eines Kündigungsschutzprozesses im Falle einer betriebsbedingten Kündigung ist nicht die Wiedereinstellung, sondern die Vereinbarung einer Abfindung. Diese ist sehr wohl kalkulierbar, denn eine gefestigte Rechtsprechung sieht 1/2 Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr vor. Allenfalls totale Willkür des Arbeitsgebers kann auch mal zu einem abweichenden Ergebnis führen. 5. Jeder Arbeitgeber hat bereits jetzt die Möglichkeit, ArbeitnehmerInnen bis zu zwei Jahren befristet zu beschäftigen, ohne dafür eine Begründung zu brauchen (sog. Teilzeit- und Beschäftigungsförderungsgesetz, eine Leistung von Rot-Grün). Außerdem ist die Befristung aus sachlichem Grund auch über die Zweijahresgrenze hinaus möglich. 6. Für ältere ArbeitnehmerInnen sehen die Hartz-Gesetze bereits jetzt die Vereinbarung von Abfindungen anstatt Kündigungsschutz vor.
In Anbetracht dieser Rahmenbedingungen können Sie vielleicht nachvollziehen, dass ich die gegenwärtig geführte Debatte mit großem Befremden verfolge. Aus meiner Sicht sind die Debattenteilnehmer in der Tat entweder komplett ahnungslos oder eben böswillig, was ich ehrlich gesagt für wahrscheinlicher halte.
BERNHARD STIETZ-LEIPNITZ, Hamburg