: „Ich hoffe auf Erlösung“
Ein Gespräch mit Judith Hermann, deren neuer Erzählband „Nichts als Gespenster“ heute erscheint, über Autorenfotos, nomadische Großstadtmilieus, ihre Protagonisten und deren privilegiertes Leben
Interview KOLJA MENSINGund SUSANNE MESSMER
taz: Frau Hermann, warum lassen Sie zu unserem Gespräch keine Fotografen zu?
Judith Hermann: Ich finde es unangenehm, fotografiert zu werden. Ich hatte nach „Sommerhaus, später“ genug davon, dass meine Person als Projektionsfläche vereinnahmt wird. Dieses Foto , das im Umschlag von „Sommerhaus, später“ abgedruckt war, hatte eine bestimmte Auswirkung auf das gesamte Buch, die ich nicht beabsichtigt hatte. Ich fühlte mich plötzlich in der merkwürdigen Zwangssituation, einem Foto entsprechen zu müssen. Auf dem Foto sehe ich aus, als wäre ich nicht von dieser Welt, als stünde ich vollkommen neben mir, als wäre ich 1,45 Meter groß und im Grunde schon 1920 gestorben.
Aber auch das Foto im Umschlag Ihres neuen Erzählbands „Nichts als Gespenster“ bestätigt das Image der verträumten, melancholischen Autorin.
Ich finde, es ist anders. Es sieht sehr viel mehr so aus wie ich.
Sie kontrollieren Ihr Image.
Wissen Sie – am liebsten würde ich gar kein Image haben.
Wir haben das Gefühl, dass man es als Frau im Literaturbetrieb schwer hat in der Auswahl der Bilder. Die meisten Frauen präsentieren sich schön, zart, knüpfen an das Bild der Femme Fragile an. Gibt es keine anderen Möglichkeiten?
Ich habe nicht die Kraft, mir ein Konstrukt zu bauen. Das Einzige, was ich kann, ist ehrlich sein, aber auch alle Fragen, die in mein Privatleben hineingehen, zurückweisen. Das ist ungefähr die Position, mit der ich jetzt versuche, einigermaßen durchzukommen.
Könnte es nicht Spaß machen, mit Images zu spielen?
Das kann nur Selbstdarstellern Spaß machen. Das, was ich zu sagen habe, steht in diesem Buch. Dass der Autor mittlerweile in der medialen Öffentlichkeit zu agieren hat, ist doch eine ganz komische Entwicklung. Früher, in der Literaturkritik in den Sechzigerjahren, war es einmal üblich, dass der Kritiker keinen Kontakt zum Autor aufnimmt. Diese Entfernung scheint mir gut zu sein. Eigentlich wäre es mein Bedürfnis gewesen, kein Interview zu geben. Kein Foto, keine Öffentlichkeit, nichts. Damit hätte ich aber das Image der Zicke, der absolut prätentiösen Diva, auf das Sie eben angespielt haben, entworfen. Und natürlich gibt es das doch – das Bedürfnis, sich zu zeigen, gefragt zu werden und zu kommunizieren. Also kommuniziere ich und versuche zu zeigen, dass ich nicht fragil bin, sondern eher so etwas wie sicher, handfest und robust.
Vor vier Jahren wurden sie mit „Sommerhaus, später“ zu einer Art Symbolfigur einer neuen jungen deutschen Literatur. Damals herrschte Goldgräberstimmung – heute scheint die gute Zeit für Debüts vorbei.
Die Erwartungen vieler Autoren sind enttäuscht worden, was ich sehr ungerecht finde. Einige wenige wie ich haben unglaublich viel abbekommen und hätten mit weniger besser umgehen können. Zwei Jahre später sind andere einfach so untergangen.
Das Lob für „Sommerhaus, später“ war groß. Haben Sie Angst vor den Rezensionen Ihres neuen Buches?
Ich erwarte sie mit einer Mischung aus Angst und Spannung. Ich habe mich versucht zu wappnen. Ich hoffe, dass ich kampfeslustig und widerspenstig sein kann, dass ich das Buch verteidigen und die Figuren schütze werde.
Die Erzählerinnen in den Geschichten in Ihrem neuen Buch ähneln sich: Sie sind um die dreißig Jahre alt, reisen viel, ringen mit dem Erwachsenwerden. Warum haben Sie nicht EINE Geschichte mit EINER Erzählerin daraus gemacht – und einen Roman geschrieben?
Weil es für mich in jeder Geschichte um einen unterschiedlichen Moment ging. Und weil ich ganz einfach wieder Erzählungen schreiben wollte, ich wolle das weiterführen.
Das ist gegen die Gewohnheiten des Literaturbetriebs. Gab es da keinen Druck von außen?
Überhaupt nicht. Auf Sätze von Journalisten wie „Ob sie den Atem für einen Roman haben wird, muss sie jetzt beweisen“ reagiere ich eher mit Trotz. Und auch als Leserin empfinde ich den Roman nicht als die Königsdisziplin. Ich würde gern einmal erleben, dass ein Romanautor gefragt wird, wann er seinen ersten Erzählungsband herausgibt.
Warum reisen Ihre Figuren so viel?
Ich war selbst in den letzten vier Jahren viel auf Reisen und schreibe immer noch sehr an dem entlang, was ich erlebe. Ich bin auf Reisen konzentrierter und wahrnehmungsfähiger, finde mehr Ansatzpunkte, aus denen heraus eine Geschichte entstehen könnte.
Ihre Figuren reisen nicht, um das Andere zu finden, sondern sich selbst. Reisen Sie auch so?
Ich reise immer in der Hoffnung darauf, dass ich irgendwo etwas finden könnte, das mich ein für alle Mal von allem erlöst, was mich hier blockiert, woran ich aber auch hänge.
Beim Motto Ihres Bandes, einer Zeile aus einem Song der Beach Boys, geht es eher um die Sehnsucht anzukommen als um das Ankommen selbst. Was können Sie mit dem Wort Heimat anfangen?
Wenn ich in der Fremde bin, kann ich damit sehr viel anfangen. Während der einzigen längeren Zeit, die ich außerhalb Berlins verbracht habe, während des halben Jahres in New York, habe ich so viel Heimweh gehabt wie nie in meinem Leben. Trotzdem war ich dort sehr glücklich.
Für Ihre Figuren ist Heimweh auch, sich ein ganzes Leben vorzustellen, also die Sehnsucht nach einem ganzen Lebensentwurf. Geht es Ihnen auch so?
Nein. Ich habe nie die Möglichkeit gesehen, aus meinem Leben herauszugehen.
Ist es schöner, eine Heimat zu haben oder nicht?
Das weiß ich auch nicht. Am schönsten ist es wohl, zwischen diesen Befindlichkeiten hin und her zu pendeln.
Sie sind oft als Schriftstellerin gelobt worden, die ihrer Generation eine Stimme gegeben hat. Wir glauben eher, dass Sie ein relativ enges Milieu beschreiben: gerade noch junge Menschen, viele sind Künstler und leben in großen Städten. Was interessiert Sie an diesen „neuen Bohemiens“ so sehr?
Viel eher als die „neuen Bohmeniens“ sind es ganz einfach die Menschen, aus denen mein Freundeskreis besteht, wobei diese nicht eins zu eins auftauchen. Ich denke mir keine Figuren aus, sondern es gibt Menschen, um die ich herumschreibe. Was mich mit diesen Menschen befreundet sein lässt, ist ein ausgewogenes Maß an Nähe und Distanz. Sie sind nomadisch, sodass man sich jederzeit und mit großer Selbstverständlichkeit von ihnen verabschieden könnte. Und ich selbst bin vermutlich ihr genaues Gegenteil.
Warum finden Sie Ihre Geschichten immer in diesem und in keinem anderen Milieu?
Ich beobachte natürlich auch andere Milieus, es ist mir aber noch nicht geschehen, dass mich ein Augenblick, ein gesprochener Satz außerhalb so zu einer Geschichte gebracht hätte wie innerhalb diese Kreises. Und ich bedaure das!
Diese Leute haben Freunde, die wie ein familiäres Umfeld auftreten.
In Amerika habe ich zum ersten Mal von einem Begriff gehört, der mich gleichermaßen schockiert wie entzückt hat, vom Begriff der Urban Tribes, urbaner Stämme, einer soziologischen Formel für die Gruppenbildung junger Menschen in Großstädten. Ich glaube, dass ich mich in so einem Urban Tribe aufhalte, auf eine Art, die mir nicht ganz geheuer ist.
Es gibt eine Stelle in der Titelgeschichte in „Nichts als Gespenster“, in der die Hauptfigur Ellen sagt: „Viele Leute Leben so. Sie reisen und sehen sich die Welt an, und dann kommen sie zurück und arbeiten, und wenn sie genug Geld verdient haben, fahren sie wieder los. Die meisten. Die meisten Leute leben so.“ Ist das nicht eine ungeheure Anmaßung, dass die meisten so leben sollen?
Ich finde es auch anmaßend, ja.
Aber wie kommt diese Figur darauf? Sie fährt doch auch U-Bahn und sieht Fernsehen.
Wie ich guckt sie vermutlich nicht über ihren Tellerrand hinaus. Natürlich leben die meisten Leute nicht so. Aber ich weiß nicht, ob man sich das jeden Tag bewusst machen will.
Wann ist man erwachsen?
Die banalste aller Antworten wäre, dass man erwachsen wird, wenn man ein Kind bekommt. Aber es ist auch die erste, die mir einfällt. Ich habe zum ersten Mal übers Erwachsenwerden nachgedacht, als ich mein Kind bekommen habe, das jetzt zweieinhalb Jahre alt ist. Auch das Verhältnis zu meinen Eltern hat sich dadurch sehr verändert. Die Figuren in „Nichts als Gespenster“ kommen mir erwachsener vor als die in „Sommerhaus, später“. Sie haben nicht mehr die Radikalität und Konsequenz, ihre Häuser zu verbrennen, wenn ihre Utopien nicht eingelöst werden. Schnitte zu machen und etwas Neues anzufangen, so, als hätten die Dinge nicht ihren Preis. Im neuen Buch sind die Figuren verantwortungsbewusster füreinander. Wenn etwas nicht gelingt, brechen sie nicht sofort ihre Zelte ab.
Marcel Reich-Ranicki soll sinngemäß zu Ihnen gesagt haben: „Bekommen Sie bloß kein Kind, sonst werden Sie nie wieder ein Buch schreiben.“ Stimmt das?
Ja. Dieser Satz hat mich sehr begleitet, bis ich wieder angefangen habe zu schreiben. Ich hatte die Sorge, dass sich durch das Kind bestimmte Brüche und Unvollkommenheiten in meinem Leben schließen würden.
Ist das nicht ein Klischee? Ist es nicht sexistisch, so etwas zu einer Autorin zu sagen?
Ich bin nicht so weit gegangen, das sexistisch zu finden. Aber natürlich hat das Kind auch neue Dinge aufgebrochen, aus denen heraus genauso viel Anlass besteht zu schreiben. Und außerdem hat mich das Kind weit genug von den Erwartungen entfernt, die an mich gestellt wurden und unter denen ich litt.
In einer Ihrer neuen Erzählungen heißt es, dass die Erzählerin es leid sei, immer wieder die gleichen Geschichten zu erzählen – es aber dennoch täte. Könnten Sie sich vorstellen, sich einmal auf unbekanntes Terrain zu wagen?
Vielleicht kann man eines Tages doch widerstehen und erzählt sie nicht mehr, diese Geschichten, und aus diesem Widerstand erwächst etwas Neues. Das würde ich mir wünschen. Ich habe Sehnsucht danach, über etwas Fremdes zu schreiben. Andererseits hätte ich dann vielleicht auch wieder Sehnsucht nach den alten Geschichten.
Hat das Erzählen dieser immer gleichen Geschichten auch etwas mit dem Titel Ihres Erzählbands zu tun, „Nichts als Gespenster“? Sind die Figuren nicht wie Gespenster, die keinen Alltag, keine Arbeit, keine Geldsorgen haben, die gar nicht existieren würden, wenn sie sich nichts zu erzählen hätten?
Viele Leser haben an „Sommerhaus, später“ bemängelt, dass man gar nicht erfährt, wovon meine Figuren eigentlich leben. Um dem diesmal zu entgehen, habe ich mir in „Nichts als Gespenster“ manchmal Berufe für meine Figuren ausgedacht. Eine habe ich Katalogtexte schreiben lassen, obwohl mir das sehr willkürlich vorkam. Denn eigentlich sind sie Gespenster, sie erinnern mich manchmal an dieses kleine Hui Buh, das Schlossgespenst.
Und was wäre dann die Kugel, die Ihre Figuren am Bein mitschleppen?
Das wären wohl ihre Geschichten, ihre Wünsche, ihre Sehnsüchte.