: Lug und Trug
Wilde Branche: Eine Diskussion im LCB über gefälschte Autorenbiografien und das Authentische in der Literatur
Ausgerechnet Karl Corino, den Experten für Fälschungen in Literatur und anderswo, erwischte es 1990 knüppeldick. Damals bat ihn der Zsolnay-Verlag, die Erzählung „Winterende“ einer völlig unbekannten österreichischen Autorin namens Luciana Glaser mit ein paar lobenden Worten auf dem Buchrücken zu bedenken. Corino ließ sich nicht lumpen, pries das Büchlein mit dem Satz „Hätte es Büchners Lenz nach Südtirol verschlagen, so könnte über ihn geschrieben werden“, und musste später aus dem Spiegel erfahren, dass er einem von langer Hand geplanten Fake aufgesessen war, den sich der österreichische Schriftsteller Walter Klier ausgedacht hatte: Der eingeweihte Willi Winkler schrieb damals im Spiegel, dass „an ‚Winterende‘ kein Wort echt ist“ und die Erzählung nichts über das hinaus biete, „was jeder Baukasten für die Literatur unserer Zeit bereithält“.
Immerhin habe er einen doppelten Konjunktiv benutzt, entschuldigte sich Corino nun am Dienstagabend im LCB, als er mit ebenjenem Walter Klier, dem Schriftsteller F. C. Delius und dem Schweizer Literaturwissenschaftler Michael Angele über falsche Autorenbiografien und „das Echte in der Literatur“ diskutierte. Dabei entspann sich ein unterhaltsames Gespräch mit Eingebungen wie „Literatur is a ganz a wilde Branche“ (Klier), das aber viele grundsätzliche Fragen naturgemäß nur anreißen konnte. Ist fiktive Literatur nicht per se eine Fälschung? Ist es nicht egal, wie echt die dahinter steckende Autorenbiografie ist? Und überhaupt: Authentizität? In der Post- und Popmoderne?
Die Grenzen aber waren klar, vor allem in moralischer Hinsicht: im Fall von Stephan Hermlin, der sich eine Biografie als unbeugsamer Widerstandskämpfer und KZ-Häftling zusammengelogen hatte, und auch im Fall der Autobiografie des angeblichen KZ-Überlebenden Binjamin Wilkomirski alias Bruno Doesseker, „Bruchstücke“. Gerade bei diesem Buch aber gab Michael Angele zu bedenken, wie es nach der so genannten Entlarvung nur noch als Kitsch gehandelt wurde, von seiner Literarizität aber überhaupt nicht mehr die Rede war. Der Literaturbetrieb als große Wunschmaschine sozusagen, dem die Fähigkeit zur Kritik abhanden gekommen ist und der sich gern blenden lässt.
Schön war, dass Moderator David Oels immer wieder versuchte, Links in die Gegenwart zu legen, und auf die Marktgängigkeit von Fälschungen zu sprechen kam. Man resümierte schließlich: Sosehr die Personalisierung von Literatur zu bedauern sei, umso schwieriger sei es geworden, eine Biografie zu fälschen. Als Oels fragte, ob sich die Runde eine Art „Deutschland sucht den Literaturstar“ vorstellen könnte, hielt sie sich bedeckt. Corino meinte, das gäbe es doch schon: Klagenfurt, und damit waren alle äußerst einverstanden. gba