: Eine Frage der Wahrnehmung
In Potsdam werden fünf Rechte wegen versuchten Mordes zu hohen Haftstrafen verurteilt. In Cottbus muss ein Gericht ein Verfahren wegen eines rechten Überfalls auf eine Berliner Ska-Band einstellen, weil schlampig ermittelt wurde
Der 4. August vorigen Jahres muss eine laue Sommernacht gewesen sein. Für Ali Ibrahim, einen ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeiter, war das, was sich damals in einem Waldstück bei Ludwigsfelde abspielte, die Hölle. Ahnungslos tappte der 38-Jährige in die Falle einer fünfköpfigen rechten Clique. Zwei Stunden misshandelten sie ihn aufs schwerste. Das Landgericht Potsdam wertete die Tat am Dienstag als versuchten Mord.
Ali Ibrahim kannte die beiden 15- und 16-Jährigen, die ihn „zu einer Party“ einluden. Doch statt einer Feier erwartete den Mosambikaner bei seiner Ankunft im Wald ein mehrstündiges Martyrium – geplant von einer „emotional verelendeten Jugendlclique mit diffusem rechtem Weltbild“, wie Richter Klaus Przybilla die fünf Angeklagten im Alter zwischen 15 bis 22 Jahren bezeichnete.
Insbesondere der 22-jährige David E. – wegen rechter Delikte schon vorbestraft – tat sich dabei hervor. Mit den Rufen „Du Neger! Du schwarze Sau!“ eröffnete David E. nach Ansicht des Gerichts den Reigen „menschenverachtender Brutalität“. Nach eigenen Aussagen der fünf Angeklagten bei der Polizei zertrümmerte zuerst David E. eine Bierflasche auf dem Kopf des vor Angst paralysierten Opfers und boxte es ins Gesicht. Nach weiteren Tritten und Schlägen lag der Mosambikaner am Boden. Einer der Angreifer hielt dann seinen Kopf fest, während die anderen ihn auszogen und anschließend auf Oberkörper, Bauch und Kopf sprangen. Irgendwann verlor der Mosambikaner das Bewusstsein. Seine Peiniger machten weiter; David E. soll ein brennendes Feuerzeug an die Haut des Opfers gehalten haben.
Gegen 5 Uhr morgens, als Ali Ibrahim sich nicht mehr regte, ließen die Angreifer ab. David E. ging zum Schlafen nach Hause und brüstete sich anderntags, der Abend sei „geil“ gewesen; die anderen versetzten ihr Zelt um einige hundert Meter weiter an eine andere Stelle im Wald. „Sie wollten nicht töten, aber sie überließen es dem Zufall, ob ihr Opfer sterben würde“, so das Gericht. Ali Ibrahim überlebte. Doch die Misshandlungen haben nach Angaben des Vereins Opferperspektive bei ihm zu einem schweren Trauma geführt. Jeder Schritt vor die Tür sei mit Angst besetzt. Als Ali Ibrahim vor Gericht seine Erinnerungen an die Augustnacht schilderte, schloss das Landgericht die Angeklagten aus. Zu groß sei die Gefahr einer Retraumatisierung, so Richter Przybilla.
In ihrem Plädoyer ging die Staatsanwaltschaft von einer „politisch motivierten Tat aus. Dem folgte das Gericht. Es verurteilte David E. zu achteinhalb Jahren Haft, zwei Mitangeklagte zu drei und fünf Jahren Jugendhaft. Die beiden jüngsten Angeklagten erhielten zwei Jahre auf Bewährung.
Während sich das Landgericht Potsdam von seinem Urteil eine erzieherische Wirkung erhofft, offenbarten die Strafverfolgungsbehörden in Cottbus am gleichen Tag ein völlig anderes Vorgehen im Anschluss an einen rechtsextremen Überfall. Knapp zweieinhalb Jahre dauerte es, bis der Angriff auf die Berliner Ska-Band „Mothers Pride“ im Anschluss an ein Konzert in Cottbus überhaupt vor Gericht kam. Der dunkelhäutige Bassist der Band war damals als „Niggerschwein“, eine Freundin der Band als „Niggerschlampe“ beschimpft worden. Vier Bandmitglieder kamen mit schweren Prellungen ins Krankenhaus. Trotzdem schloss die Polizei in Cottbus von vornherein einen rechten Hintergrund aus. Vor Gericht gestanden die vier Angeklagten aus dem rechten Hooligan-Milieu zwar ihre Tatbeteiligung. Sie kamen jedoch mit Geldstrafen davon. HEIKE KLEFFNER