: Affen zum Anfassen
Das neue Hamburger Musical „Tarzan“ lässt die Darsteller an Seilen durch den Zuschauerraum fliegen. Mit einer maximal schlichten Geschichte richtet sich „Tarzan“ damit nicht mehr an ein ergrautes Publikum, sondern an Familien mit Kindern
VON KLAUS IRLER
Es geht um große Gefühle, aber das Wort „Liebe“ hat Jane ihrem Tarzan nicht beigebracht. Auch, weil die Liebe als Phänomen nicht ganz so einfach zu verstehen ist, schließlich kann man sie nicht sehen oder anfassen.
Tarzan aber ist wie das Musical im Allgemeinen: Beide lieben das Fassbare. Also singt Tarzan nicht: „Ich liebe dich“, sondern: „Dir gehört mein Herz“. Und das ist schon eine der Überraschungen des neuen Hamburger Musicals „Tarzan“: Es geht immer noch eine Stufe direkter. Noch greifbarer. Noch körperlicher. Und auch noch schlichter.
„Tarzan“ beginnt mit einem Donnerschlag, der das kunstvoll auf eine Gaze-Leinwand projizierte Schiff zum Untergehen bringt. Gleich auf den Donnerschlag folgt der Auftritt der Gorillas: Sie kommen im Wortsinn aus der Luft, von hinten, von links, von rechts brausen sie an Seilen durch den Zuschauerraum.
Das geht, weil das Hamburger Musical-Theater Neue Flora als steil abfallendes Amphitheater mit hoher Decke gebaut ist. Es ist ein Einstieg wie bei einem James Bond-Film: Erst mal den Zuschauer überwältigen, erst mal maximale Action, als wäre es schon das Finale. Danach liegt man platt im Sessel. Und fragt sich: Was kann jetzt noch kommen?
Jetzt kommt die Story. Ein angestrandetes Menschenbaby wird von einem Gorilla-Weibchen in Obhut genommen. Der Sippenchef will das Baby verstoßen, weil er schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hat. Das Weibchen aber folgt seinen Mutterinstinkten und macht aus dem Baby ihren Tarzan. Im Duett schenken sie sich gegenseitig ihre Herzen: Die Affen reden untereinander deutsch. Ebenso wie die Forscher, die anschließend auf die Insel kommen. Nur das Gespräch zwischen Affen und Forschern klappt dann nicht.
Trotzdem verlieben sich Tarzan und Jane ineinander und Tarzan will mit nach England kommen. Der böse Gorilla-Jäger Mr. Clayton aber schießt auf den Chef-Gorilla, der im Sterben die Sippenführerschaft auf Tarzan überträgt. Also bleibt Tarzan auf der Insel. Und Jane hüpft im letzten Moment vom Schiff zurück in Tarzans Arme. Das Happy End: Tarzan darf beides – sowohl die alte Familien hüten als auch mit Jane zusammen sein.
Inszeniert wird die Geschichte mit vielen Lichteffekten, und die sind vor allem grün. Es gibt Lianen in 3-D an den Wänden des Theaters, Blätterwerk aus blau-grün-braun angestrahlten Fäden, Gaze-Vorhänge, die im Bühnenboden verschwinden, Haufen aus Lichtpunkten, die Sternschnuppen sein könnten, viel Schwarzlicht. Das alles ist absolut perfekt gemacht. Megabunt ausgemalt. Und frei von jeder Aura.
„Tarzan“ ist eine hermetische Welt, in der Farben und Kostüme in einem permanenten Bühnenzauber strahlen, als wäre das alles nicht live, sondern virtuell entrückt. Gleichzeitig sprengt das Musical seine Guckkasten-Realität, indem es den Zuschauerraum mit schwingenden Affen einbezieht. Eine weit entfernte Bühnenwelt wird kombiniert mit Affen zum Anfassen. Wobei die Affen als Artisten durch den Raum schweben: „Tarzan“ bedient sich beim Zirkus.
Es geht um eine Zirkusveranstaltung mit Tanz, Musik und Traumfabrik, lose zusammengehalten von einer banalen, also altersunabhängig begreifbaren Geschichte. „Tarzan“ wendet sich damit nicht – wie „Mamma Mia“ und das Udo Jürgens-Musical – an die Generation 55 plus. „Tarzan“ ist gemacht für Familien mit Kindern. Ob ein Musical mit dieser Ausrichtung erfolgreich sein wird, ist eine durchaus offene Frage. Jedenfalls scheint es nicht ganz dumm zu sein, schon mal an das Publikum von Morgen zu denken.
Und die PR-Macht, mit der „Tarzan“ nach Hamburg kommt, ist schon mal beeindruckend. Das Musical wurde von der Theaterabteilung des Walt Disney-Konzerns entwickelt, die Musik schrieb Phil Collins und die Hauptdarsteller der deutschen Version wurden in der Sat1-Castingshow „Ich Tarzan, Du Jane“ im Laufe von zehn Folgen ermittelt. Außerdem hat sich die Produktionsfirma Stage Entertainment die absolute Hoheit über die Pressefotos gesichert : Für „Tarzan“ gab es keine Fotoprobe, also einen Durchlauf, bei dem die Fotojournalisten der Zeitungen und Agenturen eigene Bilder machen können. Warum? „Es ist ganz schwierig, die Dynamik von ‚Tarzan‘ einzufangen“, sagt „Tarzan“-Sprecherin Svenja Rüde. Man habe in einem aufwändigen Verfahren die Bilder stellen und das Licht setzen müssen.
Die nun verfügbaren Bilder machten dann Stage Entertainment-Fotografen. Eine Praxis, die im Entertainment-Bereich nicht ungewöhnlich ist – und die etwa Stefan Endter vom Deutschen Journalisten Verband in Hamburg „mit Sorge beobachtet“.
Die Medienpräsenz von „Tarzan“ ist trotzdem enorm. Phil Collins’ Schmalz-Songs werden im Radio gesungen. Und für eher technikaffine Journalisten gibt es eine lange Liste mit technischen Superlativen. Kann eigentlich nichts schief gehen.
Zumal „Tarzan“ zumindest bei der Vorpremiere etwas schafft, das man eigentlich nur aus dem Kasperletheater kennt: Es gibt spontanen Applaus, als Jane sich für ein Leben mit Tarzan entscheidet. Ein spontaner Kommentar zum Geschehen, als wären die Zuschauer im Lauf der Show wieder zu Kindern geworden. Unglaublich, eigentlich.
Nächste Vorstellung: Dienstag, 20 Uhr, Hamburg, Neue Flora