: Anschlag auf Menschenschlange
Das jüngste Selbstmordattentat in Bagdad zielt auf Iraker, die für die US-Verwaltung arbeiten wollen. Damit soll eine „Irakisierung“ der Besatzung verhindert werden. Doch die Menschen brauchen Arbeit
AUS BAGDAD KARIM EL-GAWHARY
Es war der tödlichste Anschlag im Irak seit der Verhaftung Saddam Husseins. Mindestens 25 Menschen kamen ums Leben, und etwa 130 wurden verletzt, als ein Selbstmordattentäter seinen mit Sprengstoff beladenen Kleinlastwagen vor demHauptquartier der US-Verwaltung in Bagdad zündete. Bei den Toten handelt es sich nach US-Angaben um 21 Iraker und 2 amerikanische Mitarbeiter des Pentagon. Die Explosion, die sich kurz nach acht Uhr morgens Ortszeit ereignete, war so stark, dass noch mehrere Kilometer entfernt Fenster zu Bruch gingen.
Die Attentäter hatten sich ihr Ziel und den Zeitpunkt genau ausgewählt. Jeden Morgen stehen vor dem Haupttor zum ehemaligen Präsidentenpalast, das ironischer Weise den Namen „Mördertor“ trägt, hunderte von Irakern Schlange, um bei den Amerikanern im Inneren des Palastes Arbeit zu finden. An diesem Morgen waren es besonders viele Iraker, die sich nach einem Aufruf des Innenministeriums in den lokalen Zeitungen für eine Anstellung als Polizist registrieren lassen wollten.
Der Ort des Anschlags wurde weiträumig abgesperrt. Aber auf der Tigrisbrücke, die zu dem Haupttor führt, kam es noch Stunden später zu chaotischen Szenen. Hunderte von Menschen versuchten, Informationen über ihre Angehörige zu erhalten. „Drängt sie weiter zurück“, lautete die Anweisung eines US-Offiziers an seine Soldaten. Ein für die US-Armee arbeitender Iraker, ebenfalls in US-Uniform, versucht die Menge zu beruhigen. „Geht nach Hause. So Gott will, ist niemand eurer Angehörigen betroffen, das amerikanische FBI untersucht den Vorfall“, schreit er der Menge entgegen. „Wo war dein FBI, um das Ganze zu verhindern?“, entgegnet ihm einer der Angehörigen verärgert, als ein junger Mann zum Rand der Brücke eilt und auf das Geländer steigt, um sich hinunterzustürzen. Nur mit Mühe wird er von der Menge zurückgehalten. Kurz zuvor hatte er im dem Fernsehbildern von dem Anschlag unter den Toten seinen besten Freund entdeckt.
„Ich werde den Rest des Tages nur noch beten“, erklärt dagegen ein sichtlich aufgelöster Ziad Quayk. Er kann sein unwahrscheinliches Glück noch gar nicht fassen. Ausnahmsweise war er an diesem Tag nicht morgens zur Arbeit erschienen, weil er einige Dollar in Dinare umwechseln wollte. Seit fünf Monaten arbeitet er für die Amerikaner als Übersetzer. Normalerweise hätte er wie die anderen an diesem morgen in der Schlange gestanden. Abgesehen von seiner Familie und seinen engen Freunden hat er es bisher vermieden, seinen Arbeitgeber zu nennen. Er hat Angst, als Kollaborateur der Besatzer abgestempelt zu werden. In den letzten Wochen, erzählt er, habe er immer wieder ein mulmiges Gefühl gehabt, wenn er sich in der Schlange vor dem US-Hauptquartier angestellt habe. Die irakischen Mitarbeiter der Amerikaner brauchen in der Regel eine gute Stunde, bis sie alle Sicherheitschecks und Durchsuchungen durchlaufen haben und hereingelassen werden. „Wir stehen da draußen wie die Schafe herum und sind verwundbar, während die Amerikaner ohne Unterbrechung raus- und reinfahren“, erklärt er.
„Wir sind keine Kollaborateure, wir wollen genauso wie alle anderen Iraker, das die Amerikaner hier abziehen, aber irgendwo muss ich schließlich mein Geld verdienen. Es gibt keine anderen Jobs“, verteidigt sich Safa Hassan, ein 28-jähriger Zimmermann aus dem südirakischen Hilla, der gehofft hatte, an diesem Morgen Arbeit zu finden. Er war zurückgeschickt worden, weil die Kopie eines Papiers fehlte. Er war gerade losgegangen, um das in der Nähe zu erledigen, als die Bombe explodierte. „Überall flogen Menschen und Autos herum, und dicker Rauch zog auf“, erzählt er immer noch unter Schock. „Es war eine klare Warnung an uns, nicht mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten“, lautet die Interpretation des Übersetzers Zaid. Zuerst hätten „sie“ es nur auf die Amerikaner abgesehen, dann auf die irakischen Polizisten und jetzt auf jeden, der mit den Amerikanern kooperiert, glaubt er. Wer genau hinter den Anschlägen steckt, weiß er nicht, wahrscheinlich eine Mischung aus verschiedenen irakischen Gruppen und möglicherweise auch ausländischen Kämpfern, meint er.
Wer immer auch verantwortlich ist, hinter den Anschlägen steckt eine klare, wenngleich zynische Strategie. Indem Iraker, die mit den Amerikanern zusammenarbeiten, zur Zielscheibe werden, soll verhindert werden, dass die amerikanische Besatzung ein irakisches Gesicht bekommt. Stattdessen sollen die Amerikaner gezwungen werden, wieder selbst auf die Straße zu gehen, damit sie einfacher zu treffen sind. Denn am Ende zählen im US-Wahlkampf nur die toten Amerikaner. Das gilt gerade jetzt, nachdem das US-Verteidigungministerium verkündet hat, seine Truppen im Irak um 30.000 Soldaten zu reduzieren.
Ziad hat jedenfalls eine erste Konsequenz gezogen. Er will sich nicht abschrecken lassen. Morgen wird er besonders früh zum US-Hauptquartier fahren. In der Hoffnung, dass die Schlange vor dem Haupttor noch nicht allzu lange ist und die Abfertigung schneller geht. Sein neues Motto lautet: „So schnell wie möglich raus und wieder rein.“