: Mit toten Körpern auf Du und Du
Der Kölner Thanatopraktiker Christoph Kuckelkorn ist Bestatter in der vierten Generation. Sein Spezialgebiet ist das Herrichten verstümmelter Leichen für den Abschied am offenen Sarg
VON KIRSTEN PIEPER
Christoph Kuckelkorn sitzt gerade mit Frau und Kindern beim Abendessen, als das Handy klingelt. Wenige Minuten später ist er bereits auf dem Weg zu seinem Behandlungsraum in Ossendorf.
„Bei einem Notfall muss ich alles stehen und liegen lassen“, erzählt der Kölner Bestatter. Bei diesem Fall habe der Leichnam innerhalb von 2 Stunden fertig präpariert am Flughafen sein müssen, um in sein Heimatlandüberführt zu werden.
Kuckelkorn (39) ist Thanatopraktiker („Thanatos“ ist Altgriechisch für Tod). Er kümmert sich um die Konservierung von Leichen. Als einer der „jungen Wilden“ der Bestatterbranche will er den Abschied am offenen Grab populär machen. Selbst böse zugerichtete Unfallopfer rekonstruiert er so, dass die Angehörigen ihnen ein letztes Mal ins Gesicht blicken können.
Eine komplette Sitzung in seinem Behandlungsraum kann bis zu fünf Stunden dauern. „Das kommt auf den Zustand der Leiche an“, erzählt Kuckelkorn. Für eine normale Einbalsamierung brauche er zwei Stunden. Für ein Unfallopfer oder für einen von schwerer Krankheit gezeichneten Körper müsse er dagegen mehr Zeit einplanen. Bei einem Unfallopfer gelte es zuerst die Einheit des Körpers wiederherzustellen. Dabei hantiere er mit den gleichen Instrumenten wie ein Chirurg: „Ich flicke Muskeln, schiene Knochen und nähe Gliedmaße an. Dann erst kommt die Einbalsamierung.“
Die beschreibt der Thanatopraktiker so: Zuerst setze er die Injektion in die Halsschlagader und pumpe einen Cocktail aus chemischer Flüssigkeit in den Körper. Gleichzeitig lasse er das Blut ab. Die Zusammensetzung der Lösung sei immer unterschiedlich, sagt er. Werde der Tote ins Ausland überführt, spiele die Witterung des Ziellandes eine entscheidende Rolle. „Die Leichen sind nur für eine kurze Dauer konserviert, weil der Verwesungsprozess nur verzögert wird.“ Seine Methode unterscheide sich daher grundlegend von der Praxis der Plastination etwa eines Professor von Hagen, der die toten Körper für die Ewigkeit konserviere.
Auch wenn er sich manchmal wie ein Handwerker vorkomme, erfordere der Beruf weitaus mehr Fingerfertigkeiten als etwa das Flicken eines Fahrradreifens. Das spiegelt allein die Menge der Fächer wieder, die zu der zweijährigen Ausbildung zum Thanatopraktiker gehören: Anatomie, Marketing, Biochemie, um nur einige zu nennen. Auch Schminken, Frisieren und Ankleiden sind Bestandteile der Praxisarbeit. „Das ist fast wie im Theater“, sagt Kuckelkorn. Da er mittlerweile mit Rouge und Wimperntusche besser umgehen könne als seine Frau, sei an Karneval immer er für die Maskerade der Kinder zuständig.
Die Firma Kuckelkorn hat in Köln eine lange Tradition. Der Urgroßvater etablierte das erste Bestattungsunternehmen Kölns, der Urenkel ist heute der erste und einzige Thanatopraktiker im weiteren Umkreis der Stadt. Die „Praxis an Toten“ hat er vor fünf Jahren erlernt. „Mein Anliegen ist es, die Würde des Toten zu bewahren“, sagt Christoph Kuckelkorn. Seine Motivation ist, den Angehörigen und dem Verstorbenen einen ästhetischen Rahmen für einen Abschied zu ermöglichen. In den privaten Räumen seines Unternehmens veranstaltet Kuckelkorn Trauerfeiern am offenen Sarg.
In Deutschland sei das Abschiednehmen am offenen Sarg noch nicht salonfähig, sagt er. Auf städtischen Friedhöfen sei dies nur in Ausnahmefällen möglich. „In anderen Ländern. etwa den USA, ist es üblich, ein so genanntes visiting zu veranstalten.“ Familie und Bekannte besuchten dabei den Aufgebahrten in seiner Wohnung in lockerer Atmosphäre. In den USA, wo er einen Teil seiner Ausbildung machte, existiere ein „ganz anderes Business“. Während Kuckelkorn im Jahr an die hundert Körper konserviert, gebe es in den USA Unternehmen, die im 24-Stunden-Service weit über 3.000 Einbalsamierungen pro Jahr vornehmen. Dort herrscht der Anspruch, den Verstorbenen so zu zeigen, als schliefe er nur, so Kuckelkorns Erfahrung. „Manche Fotos der Toten waren 20 Jahre alt, und danach sollten wir arbeiten“, moniert der Praktiker. „Da wird dann postmortal Silikon gespritzt – im letzten Schönheitssalon.“
Das sei in Deutschland „Gott-sei-Dank“ undenkbar. Kuckelkorn wünscht sich dennoch auch in Deutschland eine höhere Akzeptanz für ein Abschiednehmen am offenen Sarg. „Dass sich Bestatter sogar weigern, dem Toten ein Gebiss einzusetzen, zeigt, dass wir da noch einen langen Weg vor uns haben.“