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Archiv-Artikel

Kleiderordnung

Zu Besuch bei einem Frackspezialisten

VON GABRIELE GOETTLE

Josef „Peppino“ Teuschler, Frackspezialist u. Prominentenschneider i. Wien. 1940 Einschulung i. d. Volksschule i. Stotzing/Burgenland. 1944 Tod d. Vaters. 1948 Beendigung d. Schule und Beginn d. Schneiderlehre b. Ferdinand Riha i. Wien (Gesellenstück: Handgenähtes Sakko). Nach erfolgreichem Abschluss d. Lehre Arbeit b. versch. Firmen, teilw. als Zuschneider. 1952 Tod d. Mutter. 1955 Ablegung d. Meisterprüfung (als jüngster Schneidermeister Österreichs). Ab Mai 1958 selbstständiger Schneidermeister m. Atelier u. Werkstadt i. 18. Bezirk i. Wien, Verehelichung m. d. Schneiderin Martha Weber. 1965 erste Auszeichnung m. d. Wiener Modering-Medaille. 1967 Verleihung d. GOLDENEN SCHERE beim Mode-Festival San Remo (seither unter dem Namen „Peppino“ bekannt). 1967 Gründung d. Fußballclubs USC-Stotzing i. seiner Heimatgemeinde. 1969 Entwurf seines „Computer-Anzuges“ (Schnitt u. Fertigung halbautomatisch, halb Konfektions- halb Maßanzug), geschützt. Markenzeichen: „Peppino International“, ebenso lautet b. 1999 d. Firmenname. 1970 Verleihung d. Titels „Kommerzialrat“ d. d. österr. Bundespräsidenten Waldheim. Zunehmend lassen sich in- und ausländische Prominente Anzüge u. Fräcke von „Peppino“ schneidern. 1988 Einkleidung d. österreich. Nationalmannschaft f. d. Olymp. Sommerspiele i. Seoul. 2000 Entwurf d. Fräcke f. d. Eleven d. Wiener Opernballs. 2001 Kostüme f. d. Darsteller i. Musical „Charlie“. Orden u. Ehrungen u. a.: 16 intern. Auszeichn., 1994 gr. silb. Ehrenz. d. gewerbl. Wirtschaft Wien; 1997 Burgenländisches Sport Ehrenzeichen i. Gold; 2003 gold. Ehrenzeichen d. Republik Österreich (d. d. Bundespräsidenten verl.). Josef Teuschler wurde a. 15. März 1934 als Sohn einer Arbeiterfamilie i. Stotzing/Burgenland geboren, er ist glücklich verheiratet u. hat zwei Söhne. Sohn Michael Teuschler ist ebenfalls Schneidermeister u. übern. 1999 d. Geschäftsführung d. väterl. Firma.

Die Geschichte des Fracks ist eigentlich eine Geschichte schrumpfender Schöße und der Verselbstständigung eines Zweckes. Sein Vorbild war der zum Reiten zurückgeschlagene Rock der Kavalleristen. Im 18. Jh. wurde in vielen Heeren auch die Infanterie mit solchen Uniformröcken ausgestattet, die Schöße wurden dafür als Aufschläge geschneidert. England brachte die zivile Form dieses Uniformstückes hervor, den Frack mit den beigeschnittenen Zipfeln. Der Frack war ein Tagesrock, er war anfangs überhaupt nicht salonfähig, galt als kühnes, emanzipatorisches Kleidungsstück und konnte in jeder Farbe getragen werden (Goethe machte ihn hierzulande populär durch Werthers blauen Frack mit den Messingknöpfen). Die Anerkennung als repräsentatives bürgerliches Kleidungsstück kam aber erst durch die Französische Revolution in Schwung (für einige Zeit gab es sogar einen Frauenfrack). Erst ab 1830 wird der Frack feierlich, wird zum schwarzen Gesellschaftsfrack und erhält den bis heute gültigen Schnitt und Zweck. Außer bei Staatsakten, wird er nur auf festlichen Abendveranstaltungen ab 19 Uhr getragen. Es gibt bis heute Zeremonien und Veranstaltungen mit „Frackzwang“ – auf den Einladungen mit „White Tie“ vermerkt, im Gegensatz zu „Black Tie“, dem Smoking – (z. B. Gala, Staatsempfang, Wiener Opernball, Nobelpreisverleihung). Oberkellner im Frack sind durch ihre schwarze Fliege auf Anhieb zu erkennen, der Gast trägt stets eine weiße.

Das Geschäft des Frackspezialisten Teuschler liegt im 18. Wiener Bezirk Währing, in einer absolut uninteressanten, ruhigen Seitenstraße. Hierher wird sich die betuchte Kundschaft der angrenzenden Bezirke kaum verirren, auch für Touristen ist nichts zu sehen. Der Herrenausstatter kann sich diese schlechte Lage leisten. Er hat Kunden in vielen Ländern der Welt, die meisten wurden zu Stammkunden. Auch deshalb kann er selbstbewusst seine dezent beleuchteten Modellanzüge in die Auslagen geben und ignorieren, wie seltsam und fremd sich die französischen Schaufenstermarkisen auf der blütenweißen Geschäftsfront von der Tristesse der Straße und der grauen Fassaden der alten Mietshäuser abheben.

Wir sind auf die Minute pünktlich. Herr Peppino Teuschler erwartet uns bereits vor der Tür. Er ist klein, untersetzt, trägt einen senfgelben Seidenanzug mit handgearbeiteten Knopflöchern und handgesteppter Ziernaht, ein gelbliches Hemd mit weißem Kragen, eine Seidenkrawatte, bestickt mit Schneiderwerkzeug, und senfgelbe Seidenschuhe mit leichter Plateausohle. Am linken Revers hängt die GOLDENE SCHERE, mit der er in San Remo ausgezeichnet wurde. Liebenswürdig bittet er uns einzutreten, stellt uns seinen Kompagnon, den Sohn Michael vor, der so etwas wie bäuerliche Frische ausstrahlt und jeder Affektiertheit eher abgeneigt zu sein scheint, ordert bei der Schwiegertochter Kaffee und komplimentiert uns zu einer hausbarartigen Theke. Das Innere der Verkaufsräume wirkt englisch gediegen. Klassisch holzvertäfelte Wände, viele Spiegel, Kugellampen, Messing, grüner Teppichboden, die akkurat in den dunklen Regalen ruhenden edlen Hemden und Stoffe, der Ständer mit den farblich geordneten Seidenkrawatten, geben dem Raum eine ruhige, angenehme und geradezu zeitlose Atmosphäre. Da wir aber bei Peppino Teuschler sind, gibt es auch seidene Patchwork-Ballonmützen und sehr bunte, künstlerisch verzierte Krawatten, die das alles wieder etwas annagen. Unser Gastgeber ist sehr behende hinter die Theke getreten, schiebt ein paar herumliegende Stecknadeln beiseite und zeigt stolz auf die Wand. Sie ist bedeckt mit sorgfältig gerahmten Fotos, teils mit persönlichen Widmungen, u. a. von Placido Domingo, Carreras, Pavarotti, dem Milliardär Flick, Schwarzenegger und Gallo, dem Entdecker des Aidsvirus, von den Fußballern Beckenbauer und Pele, vom Entertainer Gottschalk, vom Pionier der Herzverpflanzung, Barnard, und von Zilk, dem ehemaligen Bürgermeister Wiens, der durch eine Briefbombe seine Hand verlor. Auch Herr Teuschler hat etwas verloren, den halben Ringfinger der linken Hand. Wir fragen, wie es passiert ist. „Es war durch die Häckselmaschine“, sagt er und streckt uns den halbierten Finger hin, „ich habe Stroh geschnitten für die Kuh, die wir hatten, und dabei ist der Finger weggegangen. 10 Jahre war ich da.“

Er schaut bekümmert, nippt am Kaffee und sagt dann feurig: „Aber das hat mich nicht gehindert. Der Zilk war später einer meiner ersten Kunden … ich habe ja viele … dem Bischof Krenn habe ich eine neue Soutane gemacht sogar, dem Roberto Blanco habe ich Anzüge gemacht, dem Rudi Carell … aber ich bin auch für den ganz normalen Menschen da … am besten, ich erzähl von vorne?! Ich bin ja aus einer Arbeiterfamilie, der Vater war tot – Zementarbeiter war er – mit 14 bin ich noch bei meiner Mutter im Bett gelegen, im verwaisten Ehebett sozusagen, das ist so am Land. Dann kam ich nach Wien, zu meiner Marie-Tante, da gab’s nur eine Ein-Zimmer/Küche-Wohnung – das war nicht einfach. Bei Herrn Riha habe ich dann die Lehre gemacht, von der Pike auf gelernt. Er war ein strenger Lehrherr und guter Chef. Da habe ich die Herrenschneiderei gelernt, das heißt, Hosen, Westen, Sakkos, Frack … und das alles mit der Hand. Die schönsten Knopflöcher konnte ich machen. Ich wollte von innen her immer Schneider werden! Die Mutter hat genäht, mit einer Pfaff-Nähmaschine, da habe ich gern zugesehen. Wir waren ja ein armes Haus, aber meine Mutter hat mir immer ein reines Hemd gegeben, und sie hat gewusst, dass ich, schon als kleiner Bub in der Schule, immer nur einen BUG gewollt habe, eine Bügelfalte in der Hose, was die andern nicht gehabt haben. Und dann war ich auf einmal in Wien und habe gelernt. Das war eine neue, bunte Welt für mich. Ich habe um halb sieben in der Früh die Arbeit aufgenommen und habe aufgehört um 8 am Abend. Das gibt’s heute nimmermehr! Es waren noch zwei Gehilfen da und der Lehrherr hat gesagt, ich soll schaun, wie sie’s machen und dann versuchen, es besser zu machen. Das hat mich innerlich beschäftigt. Zu Hause noch und vor dem Einschlafen hab ich über alles nachgedacht. Oft war ich auch hungrig im Bett, manchmal mussten zwei Wurstsemmeln am Tag reichen. Das war ja noch damals noch in der Russenzeit, 46 in Wien, damals war rundherum alles sehr arm. Aber ich hab zum Glück meine Tante gehabt – ich genier mich nicht, das zu sagen, die war Klofrau im EOS-Kino im 3. Bezirk, das war katholisch – da war ich oft, und ich kann mich noch genau erinnern, 10-, 20-mal immer derselbe Film, z. B. AVE MARIA, da hat der Benjamino Gigli gesunden – den verehre ich immer noch heiß. Na und wenn viele Leute weinen, dann hat’s immer ein bisserl mehr Trinkgeld gegeben, und die Marie-Tante hat gesagt, Pepperl, morgen können wir uns ein bisserl mehr leisten … und ich habe immer nur gedacht: Sakra! Kommen da heute nicht mehr Frauen und weinen?!“ (lacht)

Wo wir grad beim Thema sind, fast hätte ich’s vergessen“, sagt er, stellt das Kaffeegeschirr beiseite und kredenzt uns seine Spezialität für die Stammkunden, burgenländische Paprikaknoblauchwurst, Schwarzbrotscheiben, die sich heute Morgen ein wenig nach oben durchbiegen, und einen „Grünen Senator“ aus St. Margarethen. Den Wein möchten wir lieber nicht probieren, so früh am Vormittag. „Aber einen Gspritzten nehmen Sie doch“, sagt er und schenkt vorsichtig ein. „Fühlts euch wohl! Das Allerwichtigste ist, dass ihr euch wohlfühlts!“ (lacht) „Ich hab ja nicht so ein schönes Deutsch, aber ich kann gut zugehen auf den Menschen …“ Das Telefon klingelt, mit geschäftsmäßiger Stimme ruft er in den Hörer: „Der alte Peppino … ah … ich kann grad net, ich geb ihnen meinen Sohn.“ Dann fährt er fort in seiner Erzählung. „Meine Mutter hat immer gesagt, ich glaub an dich, du wirst es machen! Und schau, dass du nie unter der Mittellinie bist, such immer den Weg nach oben. Leider ist sie gestorben, als ich 17 1/2 war. Das hat mich sehr bewegt, und ich kann’s mir bis heute nicht verzeihen … da war die große, weite Welt, da war der Fußball, Freunde, die Mädchen, und ich hab mehr oder weniger die Mutter vergessen, aber wenn sie dann tot ist, ist es zu spät. Und leider hat sie auch nicht mehr erlebt, wie ich Erfolg habe. Aber so leicht war der nicht! Wie ich fertig war bei meinem Meister, da dachte ich, ich kann alles. Ich bin hin zu einer Firma im 6. Bezirk in meinem selbst gemachten Anzug. Aber da bin ich niedergehauen worden. Der Chef hat gesagt: Schauen Sie, ich sag Ihnen was. Sie haben einen schönen Anzug an, aber Sie müssen anders werden, Sie passen nicht zu uns. Ihr handwerkliches Können ist mir zu wenig für die Zeichen der Zeit, es genügt nicht, nur schöne Knopflöcher zu machen …“ Ein Kunde betritt den Laden, nähert sich ehrfürchtig und wird mit freundlichen Entschuldigungen dem Sohn übergeben. „Und das war schon schlimm genug für mich“, fährt Peppino Teuschler fort, „aber dann hat er noch gesagt: ‚Wenn Sie jetzt rausgehn, dann sollen Sie wissen, Ihr Anzug ist nicht so schön, wie Sie denken, ich sag Ihnen, das Vorderteil ist um zwei Millimeter länger, wie es sein sollte …‘“, er stößt es laut hervor, als sei die Schmach eben erst erlitten. „Und er hat mir noch empfohlen, lernen Sie Schnitte zu machen, für alle Größen, und dann, wenn Sie das perfekt können …“ Ich bin gegangen und hab mir draußen alles angeschaut – Pfui der Teufel! Und ich habe dann in verschiedenen Betrieben gearbeitet, und ich wusste immer, ich muss Schnitte machen. Es gibt ja große und kleine Menschen, dicke und dünne, breit und schmal, deshalb gibt es 62 verschiedene Schnitte, die ich dann entworfen habe …“ Telefon: „Der alte Peppino“ (…)

Kaum hat er aufgelegt, betritt ein Mann mit beherztem „Grüß Gott“ das Geschäft. Er hat einen weißen Smoking über dem Arm und durcheilt den Raum. „Der ist mein Maßschneider, der arbeitet auswärts. Das ist dem Zilk sein Smoking, den er da hat. Frack und alles hab ich ihm gemacht in den 35 Jahren, wo ich ihn kenn, auch die Seidentücher für seinen Stumpf – er trägt ja keine Prothese –, das war meine Idee und die hab ich ihm 1993 gemacht, wir haben immer zwei Krawatten genommen …“ Wir bitten ihn, von seinem ersten Frack zu erzählen. „Den ersten hab ich noch im 3. Bezirk gemacht, da war ich 17, 18, ja, zur Gänze. Der Schnitt war vom Chef, ich bekam den Kunden, den Stoff – 14 Tage brauch ich, um so einen Frack zu machen mit der Hand. Das war 100 Prozent reine, schwere Wolle, schwer zu verarbeiten, so was gibt’s heute gar nicht mehr. Das Schwerste am Frack ist – er ist ja immer offen, er hängt, da darf nichts abstehen, die Brustpartie muss sehr ruhig sitzen – man muss die ‚Balance‘ suchen und finden. Ich lass Ihnen einen kommen, dann kann ich’s besser erklären.“ Wenig später demonstriert er am Objekt, wovon die Rede ist. „Das Schwerste ist der Sitz am Frack, also dass er nicht vom Hals geht. Jeder Kunde ist ein bissl anders, der eine ist ein bissl schief z. B. Die Großen gehn gern vorgeneigt, da braucht’s einen längeren Rücken. Warum? Weil die immer runterschaun auf die kleinen Leute. Während der Kleine, der geht aufrecht, er schaut nach oben und braucht ein längeres Vorderteil und einen kurzen Rücken. Das sind Wissenschaften. Und ich fühle mich ja nicht nur für den Frack zuständig, ich denke ja auch an den Menschen, ich red auch über den Anlass, die Etikette, was der Herr wie und wo trägt. Was glauben Sie, wie ist es möglich, dass ich an einen Gottschalk, an einen Placido Domingo rankomme? Weil sie das Gefühl haben, gut aufgehoben zu sein. Und wenn Sie nur den Domingo nehmen, der hat gar keine Zeit für Anproben, wir haben den Schnitt, das andere geht telefonisch. Er hat blaue, graue und schwarze Anzüge – aber ein lustiges Sakko hab ich ihm auch schon gemacht! Und so ein Frack, der muss bei einem Sänger was aushalten. Noch mehr bei einem Dirigenten. Man hat zum Dirigieren einen anderen Frack als zum Singen. Zum Dirigieren wird das Armloch etwas kleiner gemacht, damit, wenn sich der Dirigent bewegt, der ganze Frack nicht ‚steigt‘. Bei großen Armlöchern steigt er, dann ‚zah i eam mit‘, den Frack! … Hallo! Servus, Schöne!“, er stellt seine Frau vor, eine aparte ältere Dame. „Danke, wir haben alles.“

Er schenkt nach. Telefon. „Der alte Peppino hier?!“ (…) „Die meisten Kunden kriege ich ja über den Frack. Schon für den Opernball. Ausborgen ist auch möglich, das kostet so um die 220 Euro. 160 bis 180 Fräcke leihe ich etwa aus zu jedem Opernball, davon sind 20 Prozent für Deutsche. Ein Frack, gekauft mit allem Drum und Dran kostet so um die 1.000 Euro. Und wenn ich ihn nach Maß mache, ist er natürlich teurer und kostet ca. 2.500 Euro, es kommt natürlich ganz auf die Qualität vom Stoff an. Aber welchen sie auch nehmen, der Frack ist ein Kleidungsstück, das jedem passt, das möcht ich hier ausdrücklich sagen. Einem Kleinen, einem Dicken, einem breiten Großen … es gibt keine Größe, die ich nicht habe oder mache. Ich merk natürlich auch gleich, wenn ein Bein kürzer ist, wenn wer schief ist, wenn eine Schulter hängt. Das Schlimmste ist, wenn die Gattin mitkommt und sagt, er soll sich grade halten – aber wenn er rausgeht, seh ich’s doch! Es ist selten, dass jemand ganz symmetrisch ist. Beim Schwarzenegger, da war’s eine Ausnahme, dafür gibt’s da andere Probleme. Die Bodybuilder sind schwerer anzuziehen wie ein normaler Mensch, man muss alles viel weiter schneidern, von Hause aus, weil der Muskel bei den Bewegungen ja viel stärker herauskommt. Ich muss z. B. den Oberärmel erst mal messen mit angespanntem Muskel und dann schlaff, und auf die stärkste Stelle hin wird’s dann geschnitten. Wenn er den Körper aber nicht viel bewegt, darf das Sakko nicht ausschaun wie zu groß. Aber er war sehr zufrieden. Wir haben auch Fräcke gemacht für verwachsene Leute, es darf der Mensch ruhig einen Höcker haben. Wenn’s sehr ausgeprägt ist, dann hilft man sich, falls er einverstanden ist, mit Einnähern. Aber dann muss es schon sehr stark sein, sonst bringt man’s ohne weg. Oder wenn jemand einen Schlaganfall gehabt hat, gibt’s auch bestimmte Probleme, da hängt meistens die Hand, die Schulter, das Bein ist auch betroffen. Aber das ist ein Handgriff, ein paar schnitttechnische Eingriffe zuerst mal, und dann wird er direkt hingeheftet, auf den Körper geheftet, und das geht dann schon. Es wird eine Seite länger hergestellt, die andere kürzer. Wir machen es so, dass der Mann besser ausschaut. Deshalb sprechen wir ja von der Balance. Aber das ist eigentlich keine Kunst, sondern nur eine Geduldsarbeit, was jeder halbwegs gute Schneider beherrscht … Ich muss sagen, ich bin eigentlich froh – weil dieses Schneidersein ist eigentlich was Wertvolles, weil, man kann ganz nah an den Menschen heran. Das tut gut. Und ihm, dem Kunden, tut’s auch gut – dass es das überhaupt noch gibt, dass man über seinen Körper, über seine Fehler, die wir alle miteinander haben, überhaupt noch reden kann, und wo er ganz genau weiß, ich geh nicht her und erzähl’s irgendwem weiter. Wir sehn ja alles in der Kabine, ich kenn den Kunden in jeder Phase, mit der angeschissenen auch … und ich riech sie ja und fass in den Schritt beim Messen … Meine Kunden, auch die besten, die prominentesten, die ich habe, die haben keine Scheu vor mir, niemals, und ich nicht vor ihnen.“ Kundschaft kommt, eine Dame mit ihrem Sohn. Sie wird von Peppino Teuschler mit routiniert freundlichem Geschäftston begrüßt, der junge Mann bleibt abseits stehen. Wir würden einen Nadelstreifen, einen dunklen, suchen, mit Gilet für den jungen Mann, sagt die Dame mit unsicherer Stimme. „Für den schönen Buam! Das ist kein Problem“, sagt Peppino Teuschler schmeichelnd. „Der schöne Bua braucht für das Standesamt einen Anzug und da wollten wir mal …“ Während der blasse, gelangweilte junge Mann weiterhin herumsteht, entschuldigt sich Peppino Teuschler für einen Moment und bringt die Dame hinüber zum Sohn und zu den Anzügen.

Nach einer Weile kehrt er zufrieden zurück. „Ich hab sehr viele junge Kunden, die bleiben, weil sie das Gefühl haben, da, der – versteht mich, der macht mich zum MICH. Ich hab auch sehr viele ‚Jidden‘ als Kunden, und ich zieh auch ihre Jugend an – die machen ja sehr schöne Hochzeiten! Bei mir gibt’s keine Politik und gar nix, hier zählt nur der Mensch, der ist für mich alles. Ein guter Anzug macht den Menschen auch stärker. Und ich verhelf ihm dazu. Ich kann z. B. einen Konfektionsanzug auch noch schön abändern auf seine Größe. Der KUNDE trifft die Wahl. Wir haben ja unseren Fertiganzug, den wir ‚Peppino International‘ nennen, den gibt’s in allen gängigen Größen. Und beim Maßanzug machen wir alles, da ist eben immer der Preis am höchstens. Und dann haben wir den Computeranzug, der ist vergleichsweise ja relativ billiger, der kostet so ca. 1.100 Euro, mit allem Drum und Dran. Z. B. der junge Mann der jetzt grade da war, der braucht eine 50er Hose und ein 52er Sakko, und der Rücken gehört 1 1/2 cm aufgedreht, weil er ein bissl ein’ runden Rücken hat, und die 50er Hose ist ohne Bundfalte und wird unten etwas weiter als normal. Das muss man frisch schneidern, der ganze Anzug kostet dann 1.300 Euro. Er braucht nur noch einmal in den nächsten 14 Tagen kommen, und dann hat er einen Anzug, der ist auf ihn hin gemacht, wie ein Maßanzug! Der ist für’s Standesamt. Er wollte zuerst drin heiraten, aber da hab ich ihm abgeraten und gesagt, da schaun S’ aus wie ein Banker, wenn’s einen Streifenanzug tragen, und die Braut geht mit einem großen Abendkleid … Ich hab ihm gesagt, wenn einer heiratet, dann muss er auch hochzeitsmäßig herauskommen. Das ist das Wichtige. Dass er ausschaut wie ein Bräutigam. Dazu bin ich ja auch da, zum Beraten. Und ich sag immer, für mich gibt’s fünf Dinge, die ein gut angezogener Mann mindestens haben soll. Das erste ist ein Blazer mit zwei verschiedenen grauen Hosen; das zweite ein Sportsakko mit zwei Paar Hosen, das dritte ist ein schöner grauer Anzug mit einer Weste – früher war er aus Flanell, heute gibt’s andere Materialien. Dann noch einen blauen oder schwarzen Anzug, der zwischen dem Smoking und dem grauen Anzug liegt, der kann mit oder ohne Weste sein, ja und dann haben wir den Smoking. Und erst wenn das alles vorhanden ist, und der junge Mann ist vielleicht in eine Gesellschaft hineingeschlittert, wo er einen Frack tragen soll, dann brauchen wir auch einen Frack.

Ich hab ja die Verantwortung nicht nur für den Anzug, der gute Schneider verleiht dem Träger eine Macht. Weil er weiß, dass er gut aussieht, hat er Selbstsicherheit, und wenn er selbstsicher ist, ist er gefragt. Ich hab ja viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens als meine Kunden, auch Politiker … einer hat einen sensiblen Charakter, ein anderer hat einen harten, starken Charakter. Aber ich weiß genau, dass mancher sich eben mit ein paar Kleinigkeiten stärker machen kann als er ist. Aber Namen kann ich nicht nennen, das ist mein Geheimnis. Ich hab einen Spruch: ein Schneider, ein Doktor und ein Pfarrer müssen die Goschen halten!“ Wir möchten wissen, welche Garderobe er einem Politiker empfiehlt. Er schenkt uns allen noch mal ein und sagt: „ein Politiker … also erst mal einen dunkelblauen Blazer braucht er oder einen schwarzen, mit zwei Hosen, dann würd ich noch einen Blazer dazunehmen der Farbe hat. Der kann leicht violett sein, leicht weinrot und den zieht er an, wenn er zur Jugend geht, denn wenn ich zur Jugend geh, muss ich mich ein bissl frisch machen. Da fang ich schon an, mit der Krawatte zu arbeiten, mit dem Stecktuch. Krawatten braucht er überhaupt viele. Ein Politiker sollte nie ohne Krawatte gehen. Er sollte verschiedene Hemden haben. Unser ehemaliger Bürgermeister Zilk z. B. der trägt immer ein blaues und immer mit weißen Krägen. Das waren bei ihm immer sehr exakt zusammengestellte Hemden, dieses Blau geht zum Grau … Und er braucht einen Anzug mit und einen ohne Weste mindestens. Der ohne Weste sollte ein bisschen mehr offen sein, weil der ist ein bissl salopper, auch mit einer lustigen Krawatte vielleicht, da kann er sich ein bissl spielen. Einen Streifenanzug mit einer Weste braucht er … dann wär’s gut, wenn er einen sehr guten Zweireiher hat in Dunkelblau oder mit einem leichten Streif. Und den Smoking braucht er und einen Frack … Ich meine, zehn Sachen mindestens braucht er. Und dunkle Socken … ich kenn Politiker, die nur eine Farbe tragen bei den Socken, es gibt welche, die nur weiße Socken tragen, auch zum blauen Anzug, überall, ich hab einen Kunden, dem hab ich 50 Paar weiße Socken besorgen müssen! Und dann eben ein Mantel muss sein. Kaschmirmäntel, die stellen wir ja auch her – da gibt’s eigentlich nur eins, das ist ein Hänger. Der muss leicht sein, hat einen Raglanschnitt, verdeckte Knopfleiste, schräge Taschen wo er leicht hineinkommt, und wenn’s ein dunkelblauer ist, dann kann er den auch übern Frack tragen, da gehört ein weißer Schal dazu, oder sonst ein Kaschmirschal. Mit so einem Mantel, da verhaut er nichts, der kostet zwar 1.000 Euro, aber der ist leicht, der knittert nicht, da kann er schnell raus- und reinschlüpfen.“

Nun brechen wir auf zu einem kleinen Rundgang durch die Räume. Der Herr des Hauses geht voran, wir verlassen das Geschäft nach hinten, durchqueren einen Innenhof. Die ringsum angrenzenden Häuser gehören inzwischen Herrn Peppino Teuschler, anfangs hatte man die Wohn- und Arbeitsräume nur angemietet. Inzwischen sind in den ehemaligen Substandard-Wohnungen, kleine Werkstätten und Lager untergebracht, in denen die Kleidungsstücke gefertigt und aufbewahrt werden. In den gut gelüfteten und vergitterten Räumen hängen sie auf schwarzen Kleiderbügeln und erwarten ihren Auftritt auf dem gesellschaftlichen Parkett. In einem Lager sind nur Cuts, in einem anderen Hemden, Westen, es gibt eines für Hosen und natürlich mehrere Räume nur für die Fräcke. Einerseits für die Leihfräcke, 300 gibt es davon, und auch die zum Verkauf gefertigten Fräcke haben ein eigenes Lager und hängen verhüllt nebeneinander. „Schätzen Sie mal, wie viele Fräcke ich gemacht habe“, fragt Peppino Teuschler, „an die 1.000 sicher, auch Smokings. Und Cuts, die die jungen Männer gern tragen zum Heiraten. 1988 sind Diebe hier eingebrochen – deshalb die Gitter überall an den Fenstern – die haben den ganzen Ladeninhalt weggetragen, nur die Fräcke sind hängen geblieben.“ Er führt uns durch die Räume wo der Schnitt gemacht wird, wo genäht wird und wo man mit einer laut zischenden Dampfpresse bügelt. Die Arbeitsräume sind erstaunlich klein und nicht besonders hell, kommt mir vor. Zehn Arbeiterinnen werden beschäftigt, und einige Maßschneider, die aber zu Hause arbeiten, weil, so wird uns erklärt, „sie lieber ihre eigene Musik hören“. Peppino Teuschler bittet uns zu einem kleinen Imbiss. Im Innenhof steht einer jener beliebten Gartenpavillons aus Kunststoffplanen und Gestängen zum Zusammenstecken, er beschirmt einen Tisch mit mehreren Stühlen, und verhindert zugleich, dass die Gäste den Blicken der eventuell aus ihren Fenstern herabschauenden Mieter ausgesetzt sind. Auf dem Tisch steht ein silbernes Tablett mit liebevoll belegten Broten bereit. „Das hat meine Frau für uns gemacht, immer denkt sie an alles. Ich bin jetzt seit 45 Jahren mit ihr verheiratet und es gibt nicht einen Tag, den ich bereue. Sie ist ja auch Schneiderin und hat am Anfang – wie wir die Werkstatt noch drüben in der Gymnasiumstraße gehabt haben – ja kräftig mitgearbeitet, bis dann der Michael geboren wurde. Der Michael ist mein bester Schneider. Und mein zweiter Sohn, der macht ganz was anderes, der kauft und verkauft Computer, der hat Informatik gemacht, ja. Vier Jahre hab ich in der Gymnasiumstraße gesessen – ich hab da ja Maßschneiderein gemacht, was mir eigentlich nicht so liegt auf die Dauer – und so bin ich immer gesessen, Samstag/Sonntag, über den Schnitten, hab’s vergrößert und verkleinert … und da hab ich mich eigentlich schon sehr stark entwickelt dabei, von der Modeseite her. Die Not macht erfinderisch! Und der Peppino, der berühmte, der bin ich dann erst später geworden.“

Wir besichtigen noch den kleinen Garten hinter dem Haus und steigen dann gemeinsam hinauf ins obere Stockwerk, wo Peppino Teuschler mit seiner Frau in drei zusammengelegten Wohnungen lebt. Zuerst sehen wir eine Art begehbaren Kleiderschrank. Erstaunlicherweise findet sich beim flüchtigen Hinschaun auch hier viel Klassisches, dabei ist er doch ein Liebhaber von auffallenden Farben oder Mustern. „Na, ich hab so 50 Anzüge vielleicht und was weiß ich wie viele Schuhe. Zu jedem Anzug habe ich fast einen eigenen Schuh. Manche mag ich nicht, bei andern muss ich lang nachdenken, wann ich das anziehe. Oft kaufe ich Stoffe ein für die Kunden, und im Grunde genommen auch schon für mich. Und wenn ich den nicht verkaufen kann, wird der eben für mich gemacht. Das ist das ganze Geheimnis. Das ist der Grund, weshalb ich als bunter Hund bekannt bin in ganz Europa. Aber das macht mir nichts. Ich trage meine Sakkos in jeder Farbe, und weiße Hose, weiße Schuhe, oder ich nehm ein rotes Hemd, knallrote Schuhe und dazu eine weiße Krawatte. Ich hab Sakkos, wo ich einen roten Handstepp draufmache und so schmeichle ich mich hinein. Knallgrün und Knallrot!“ Von dieser papageienbunten Sehnsucht hat sich in der Wohnung nichts niedergeschlagen. Sie ist geradezu konventionell, ausgestattet mit Möbeln aus hellem Holz, erlesenen Perser- und Seidenteppichen, einem Blumenaquarell über der Couch, einem Gemälde der Pfarrkirche in Stotzing, einer modernen Skulptur, Fotos der Kinder und Enkel und einem heiligen Martin, der den Mantel teilt, Schutzpatron des Burgenlandes und aus Wiener Porzellan. Absoluter Höhepunkt und Stolz des Gastgeber ist aber das WC aus der Schweiz, namens „Clotomat“, wenn ich’s richtig verstanden habe. Wir bekommen einen starken, süßen Vogelbeerschnaps kredenzt, und Peppino Teuschler erklärt feurig: „Ein jeder hat ja seine Spleens, ich hab so Klos gern, die Fontänen ausspritzen, warm und kalt. Man braucht nur drücken, dann ist es da wo es sein soll … Man braucht kein Klopapier mehr. Gehn Sie’s ruhig ausprobieren. Eins hab ich unten im Geschäft, zwei hab ich in unserm Haus im Burgenland in Stotzing, und hier haben wir auch zwei. Dadurch, dass ich es so gewöhnt bin, kann ich keinen Urlaub machen. Nicht mal 14 Tage, das Klo geht mir ab! Jetzt hat mir einer erzählt, es soll Hotels geben in Japan, die diese Klos führen.“