: Papasöhnchen oder Loser
Während die Jeunesse dorée im tunesischen Badeort Hamamet an einem Abend so viel ausgibt wie kein Pauschalurlauber in zwei Wochen, darbt die tunesische Jugend ohne Geldbeziehungen nicht nur im Süden des Landes. Ein Streiflicht
VON RENATE FISSELER
Die Jeunesse dorée von Tunis feiert im nahe gelegenen Badeort Hamamet. Diskotheken wie Calypso, Oasis, die Havana-Bar oder Butterfly, das Hotel Dar Hayet organisieren Soireen, auch mit bekannten DJs aus Europa, wo es reichlich Alkohol gibt und mit Geld geprotzt wird. Die Kinder der Neureichen, und wer dazu gehören will, bleiben unter sich. Diskothek Calypso, eine beliebige Samstagnacht: Wer hier Einlass bekommt, hat in der Regel vorab einen Tisch reserviert, legt dafür bis zu 1.500 Dinar hin (ca. 800 Euro), eine Flasche Wodka, Whisky oder Gin inklusive. Es ist voll. Viele auffallend junge Leute beiderlei Geschlechts: Anfang 20, gestylt nach gängigen Modemagazinen. Es wird konsumiert. Ein, zwei oder drei Flaschen Hochprozentigen. Heute legt ein DJ aus Frankreich auf, nächste Woche einer aus Deutschland.
„Die gehen nicht zum Tanzen dahin“, erzählt die Deutschstudentin Lilia aus Tunis, die hin und wieder in einem Call-Center jobbt. „Die wollen sich zur Schau stellen, gesehen werden: voilà, ich habe einen gut platzierten Tisch, ich habe Geld, bin heute Abend mit dieser oder jener Person zusammen. Hast du einfach nur Lust zu tanzen, brauchst du Glück oder eben einen Look, der nach Knete riecht, sonst kommst du da nicht rein.“ Jeunesse dorée unter sich, Mama und Papa zahlen gern für diese Art Zukunftsinvestition. Berufliche Sorgen kennen hier die wenigsten; vielleicht steigt man ja bei den Eltern ein. Worauf es ankommt und worum das mondäne Leben in gewissen Milieus kreist, ist die Pflege des Images und der richtigen Beziehungen – Zukunft ist hier kein Thema, die hat man einfach.
In Redeyef hat man die nicht. Redeyef liegt in der Phosphatregion von Gafsa im strukturschwachen Südwesten Tunesiens. Hohe Arbeitslosigkeit, mit offiziell über 30 Prozent doppelt so hoch wie auf nationaler Ebene. Die Phosphatgesellschaft von Gafsa ist ökonomischer Motor und größter Arbeitgeber in der Region. Alle drei Jahre schreibt das staatliche Unternehmen, dessen Belegschaft in den letzten 25 Jahren durch Strukturanpassung und Modernisierung um mehr als die Hälfte geschrumpft ist, neue Stellen aus.
5. Januar 2008: Die Liste mit etwa 300 Namen neu eingestellter BewerberInnen wird veröffentlicht. Von Unregelmäßigkeiten und Günstlingswirtschaft ist bald die Rede. Nicht berücksichtigte Kandidaten, zahlreiche junge Arbeitslose bringen ihren Protest zum Ausdruck, fordern die Annullierung des Auswahlverfahrens. Unterstützung erhalten sie von Minenarbeitern, der Gewerkschaft, Menschenrechtlern und Oppositionsgruppen. Eine breite Bewegung gegen ungerechte Beschäftigungspolitik, Vetternwirtschaft und Korruption entsteht, bleibt über Monate aktiv. Vielfältige Protestaktionen, Sit-ins, Straßen- und Schienenblockaden, bei denen die Polizei hart durchgreift. Anfang Mai kommt es in Redeyef und Moulares zu zahlreichen Verhaftungen. Verhandlungen zwischen Vertretern der Bewegung und lokalen Autoritäten verlaufen ergebnislos. Bei Zusammenstößen am 6. Juni stirbt ein Demonstrant, es gibt zahlreiche Verletzte. Das Militär schreitet ein, die Revolte wird erstickt.
Diese dramatischen Ereignisse in einer sozial schwachen Region, vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit sowie einer als ungerecht empfundenen Beschäftigungspolitik und lokalem Nepotismus, werfen ein Licht auf die schwierige Lage, in der sich eine in den nächsten Jahren weiter wachsende Zahl vor allem junger und zunehmend gut ausgebildeter Arbeitssuchender in Tunesien befindet. Sie schlagen sich irgendwie durch, trotz Abitur oder Studium, sie wohnen lange bei den Eltern. Sie arbeiten in einem der zahlreichen Call-Center, vielleicht auf dem Bau oder als Hausangestellte. Das gilt für viele junge arbeitssuchende Frauen und Männer in ganz Tunesien.
Das Jahr 2008 wurde von staatlicher Seite zum „Jahr des Dialogs mit der Jugend“ erklärt. 15- bis 29-jährige Tunesier sollten in 5.000 regionalen Diskussionsforen, per Internet und Handy ihre Wünsche, Kritik und Zukunftsvisionen „ohne Verbote oder Tabus“ zum Ausdruck bringen. Ein Pakt mit der Jugend über gemeinsame Werte und Prinzipien ist das Ziel. Im aktuellen UNO-Bericht zur Lage der Jugend in Tunesien ist zu lesen: „Der Wunsch zu emigrieren, und sei es illegal, stellt eine Realität unter jungen Menschen in Tunesien dar. Dieses Phänomen ist umso beunruhigender, als das am häufigsten angegebene Motiv hierfür das Fehlen einer Zukunft in Tunesien ist.“