: Brodelndes Mailand
Weil sein Team drögen Ergebnisfußball spielt, ist Inter-Trainer Mourinho in der Kritik. „Gebt mir Zeit“, fleht er
ROM taz ■ Eine harte Zeit erlebt der Portugiese derzeit. Da führt seine Mannschaft die Serie A an. Doch die Kritiker kritteln. Spielerisch läuft nichts zusammen bei Inter, da sind sich die Beobachter einig. Nur mit Duseltoren in den letzten Minuten werden die Ergebnisse gerettet. So war es bei den 1:0-Siegen gegen Reggina und Udinese zuletzt in der Liga. So geschah es beim 3:3 gegen die Zyprioten von Anorthosis in der Champions League.
Auch im Team brodelt es. Das Kraftpaket Adriano ist vom Spielfeld verbannt und zu Trainingssonderschichten verdammt. Der Brasilianer hat zu viel Kraft in Diskonächte investiert. Was beim Stadtrivalen AC großzügig geduldet wird – und im Falle Ronaldinhos immer mehr Spielfreude zeitigt –, führt bei Inter zu Disziplinarmaßnahmen. Trotz des Adriano-Aus wissen auch dessen Stürmerkollegen Cruz und Crespo nicht, ob der Trainer nun 14 Tage, drei Monate, die ganze Saison oder gar nicht mehr mit ihnen plant. Manchmal müssen sie als Mittelstürmer-Backup hinter Ibrahimovic rackern, oft genug sitzen sie ihr Geld aber nur auf der Tribüne ab. Empfindlich trifft den Trainer, dass die von ihm gewünschten Neuzugänge Quaresma und Mancini nur mittelprächtige Leistungen auf den Außenbahnen abliefern. Weil Mourinhos geschätzter Landsmann Figo mal wieder verletzt ist und der recht einfach gestrickte Youngster Balotelli nicht schnell genug begreift, was der anspruchsvolle Portugiese in seinem drolligen Italienisch an taktischer Leistung von ihm erwartet, ist das Flügelspiel von Inter arges Stückwerk.
Der Offensivprophet Mourinho wird nun sogar schon mit Vorgänger Roberto Mancini verglichen. Der hatte Inter einen faden, aber erfolgreichen Roboterfußball mit Willenskraft verordnet. Es kommt sogar noch schlimmer: Die Kritiker, die ihrerseits auch an Mancini kaum ein gutes Haar gelassen hatten, stufen Mourinho nun schlechter ein als den Mann, dessen Geist er vertreiben sollte. Mourinho fleht derweil schon: „Vergleicht mich bitte nicht mit Mancini in seinem dritten Jahr, sondern dem der ersten Saison! Gebettelt hatte er: „Gebt mir Zeit.
Ancelotti, Spalletti und Ranieri hatten alle jahrelang Gelegenheit, ihr Team zu formen und auf die Meisterschaft auszurichten. Ich bin doch nur vier Monate hier.“ Als Cruz, der vor Wochen noch Verdammte und als disziplinlos Geschmähte, mit seinem Kopfballtreffer kurz vor Schluss die zähe, nur der Tabellenposition nach als Spitzenspiel zu wertende Auseinandersetzung mit Udinese entschieden hatte, war Mourinho nicht in Jubel ausgebrochen. Vielmehr war er hinter die Bank geeilt, um dort einem seiner früheren Spieler den Mund zu verbieten. „Trainer, man muss bis zuletzt dran glauben“, hatte der ihm zugeschrien und so den Zorn auf sich gezogen. Keine schöne Geste, zumal Mourinho die Leistung von Cruz mit keinem Wort erwähnte, sich aber lieber mit den Kommentatoren herumzankte. „Du bist ein Freund von Mancini“, griff er Mario Sconcerti an. Der reagierte mit einer für einen Tifosi schlagfertigen, für einen Journalisten aber disqualifizierenden Bemerkung: „Ich bin der Freund von allen.“
TOM MUSTROPH