: Geschäfte schimmern gelb
Winterspaziergänge (Teil 2): Das „Andere Ufer“ ist das schönste, gemütlichste Café Berlins. Früher aßen hier sogar David Bowie und Michel Foucault ihre Sahnetörtchen
Der Tag war fast zu Ende, nachher würde es ganz kalt werden, und auf der Monumentenstraße standen vier Mitbürger und schauten die Gleise herunter. Sie standen ganz unbeweglich in der Sonne, die gerade unterging, als sei es so eine Art Festakt, die letzten Sonnenstrahlen mit dem Gesicht aufzunehmen. Was es ja auch ist. Es dauerte eine Zigarettenlänge, bis die Sonne dann weg war, das geht ja unglaublich schnell, und das ehemalige 62 sah wie immer ganz anders aus als 61. Von Friedrichshain oder Ex-36 gar nicht zu reden.
Wenn man Richtung Gasometer, Leberstraße geht, kommt man zum Beispiel an ganz vielen, ganz kleinen, sehr schön gelb schimmernden Zigarettengeschäften vorbei, die irgendwie ans Ruhrgebiet erinnern und in denen viele Zigaretten auch noch ohne Gesundheitswarnung vorrätig sind.
Wir dachten oder sagten, das ist doch interessant, dass eigentlich fast jeder, der mal aus Westdeutschland nach Berlin kam, anfangs immer im „Anderen Ufer“ war, ob schwullesbisch oder nicht.
Das lag nicht nur daran, dass David Bowie, Iggy Pop und Michel Foucault früher manchmal hier ihre Sahnetörtchen aßen, dass man das „Andere Ufer“ also mit sechs popgeschichtlich interessanten Platten (Heroes, Low, Lodger; Idiot, Lust for Life und TV Eye – Live) und dem ersten Band von „Sexualität und Wahrheit“ verbindet (zumindest ich), sondern dass die Freunde, die in Berlin ja oft waren, bevor man hierher zog, einen oft stolz hierher führten, weil’s immer so gemütlich war und kunstgeschichtlich vielleicht auch dezent an Zwanzigerjahre-Fantasien anknüpfte. Bowie hat dann ja auch eine teilweise recht schöne Platte mit Liedern von Brecht gemacht.
Das „Andere Ufer“, das 1977 als Kneipenkollektiv begann, heißt aber gar nicht mehr so, sondern seit Mai letzten Jahres „Neues Ufer“, aus patentrechtlichen Gründen und weil das alte wohl nicht mehr so gut funktionierte. Eigentlich schade. Es ist aber vermutlich immer noch das schönste, gemütlichste, angenehmste Café Berlins, dies oder das Detail mag man bekritteln, doch das Ganze ist so stimmig, vor allem vielleicht auch, wenn man lange nicht mehr da war.
Als es kälter wurde, versuchten wir so ein bisschen trottelig hastig wie die Gehsportler zu gehen, und wenn der Winter böse wird, werden wir ihm einfach mit albernen Pudelmützen begegnen, dachten wir uns und am nächsten Tag war es tatsächlich plötzlich wieder Winter.
DETLEF KUHLBRODT