: Ein Big Bang ist nicht zu erwarten
Mit der Osterweiterung wird der Handel mit den wichtigsten Partnern der Europäischen Union zunehmen, sagt die EU-Kommission und sieht überall Gewinner. Nur Russland schlägt Alarm, weil es entscheidende Nachteile befürchtet
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Bei der Erweiterung gibt es nur Gewinner – so lautete gestern die Botschaft der EU-Kommission an ihre Handelspartner und an die alten Mitgliedsländer. Haushaltskommissarin Michaele Schreyer versicherte, dass die positiven Handelseffekte die zusätzlichen Ausgaben für Strukturförderung und Agrarbeihilfen bei weitem übersteigen würden. Genaue Zahlen gebe es allerdings nicht – darin liege Stoff für viele Universitätsstudien.
Natürlich wurde Schreyer auch gefragt, wie viel Geld die EU-Kommission den Neuen ab 2007 zugestehen will und wie die armen Regionen der alten EU, die dann nicht mehr förderberechtigt sind, entschädigt werden sollen. Doch Schreyer ließ sich nicht aus der Reserve locken. Was die Kommission für die nächste Finanzperiode 2007 bis 2013 vorschlagen will, wird erst nach der Sitzung am kommenden Dienstag bekannt gegeben.
Auch die Fachleute der Außenhandelsabteilung der Kommission hielten sich mit Zahlen und Details zurück. Immerhin veröffentlichten sie eine Statistik, nach der der Handelsumfang mit den fünf größten Partnern USA, Schweiz, China, Japan und Russland nach dem 1. Mai dieses Jahres deutlich zunehmen wird. Mit Russland, so schätzen die Experten, wird er von 78,170 Millionen Euro auf 97,126 Millionen Euro steigen und dann statt 3,9 Prozent des EU-Handelsaufkommens 5,3 Prozent ausmachen.
Dennoch rechnet Russland durch steigende Zölle, ungünstige Einfuhrquoten und strengere Hygienebestimmungen mit Einbußen von 50 bis 80 Millionen Euro pro Jahr. Die EU schätzt die Verluste geringer. Immerhin würden die Einfuhrzölle in den neuen Mitgliedsländern durch die Einführung der gemeinsamen Handelspolitik im Durchschnitt von 9 auf 4 Prozent gesenkt. Russland werde dadurch 300 Millionen Euro jährlich an Zöllen einsparen. Lamys Sprecherin Arancha González räumte aber ein, dass Russlands Handelsmöglichkeiten sinken, wenn bei Partnerländern wie Polen die EU-Standards für Lebensmittelsicherheit und Kosmetikhygiene eingeführt werden.
Den Streit über Einfuhrquoten bei Stahl will die Kommission gütlich beilegen. Es verstehe sich von selbst, dass die Quoten für Russland, Kasachstan und die Ukraine erhöht werden müssten, wenn die EU-Bevölkerung von 379 Millionen auf 455 Millionen Menschen anwachse. Im Gegenzug müssten aber auch die Nachbarländer zusagen, ihre Handelserleichterungen gegenüber der EU auf die neuen Mitgliedsländer auszudehnen.
Anspruch auf Entschädigung für entstehende Handelsnachteile habe Russland nicht, da es nicht der Welthandelsorganisation WTO angehöre. Das Zoll- und Handelsabkommen sieht vor, dass die Mitglieder der Welthandelsorganisation untereinander Entschädigungen aushandeln müssen, wenn einem Partner durch neue Abkommen Nachteile entstehen. „Man darf sich das nicht so vorstellen, dass wir Schecks ausschreiben“, dämpfte González die Erwartungen. Vielmehr gehe es darum, mit Ländern, die bei der WTO ihre Klage angemeldet hätten, über Sondertarife oder andere Handelserleichterungen zu reden.
Einen Big Bang wird es am 1. Mai nicht geben, da sind sich die Experten einig. Schon jetzt hätten alle Kandidatenländer spezielle Handelsabkommen mit der EU. Sie müssten lediglich die Abkommen mit Drittstaaten ändern oder kündigen, die zur gemeinsamen europäischen Handelspolitik in Widerspruch stehen. Und die EU muss ihrerseits alle mit Drittstaaten abgeschlossenen Handelsverträge – von Chile bis Südafrika, von Israel bis Kroatien – auf die zehn neuen Mitglieder ausdehnen.