: Jetzt wird‘s ernst!
Hessens Justizminister führt neben der U- die E-Haft ein – für besonders schwere Fälle
Das unter der Leitung von Dr. Christean Wagner stehende hessische Ministerium der Justiz hat die Welt zwischen Kassel und Darmstadt, zwischen Rheingau und Zonengrenze sicherer gemacht. „We made the world a safer place“, verkündete George W. Bush vor kurzem kühn, und mit breiter Brust stolzierte da Dr. Christean Wagner durch seinen Dienstsitz in Wiesbaden – angesichts der eigenen Taten, die eines amerikanischen Präsidenten würdig waren!
Trotz der von Ministerpräsident Roland Koch inbrünstig geleerten Landeskassen lässt Wagner die Justizvollzugsanstalt in Hünfeld seit einiger Zeit kostenintensiv auf den neuesten Stand bringen. Demnächst feiert dort ein revolutionäres Inhaftierungsverfahren seine Premiere: die E-Haft.
„Es gibt die U-Haft, das ist bekannt“, eröffnete Wagner in der vergangenen Woche einem kleinen Kreis ausgewählter Journalisten bei Kaffee und Kuchen, „und wir führen nun die E-Haft ein.“ Die U-Haft, erläuterte er, werde leider oft fälschlicherweise als „Unterhaltungs-Haft“ aufgefasst. In Hessens Gefängnissen könne zwar unter der jetzigen Landesregierung von derartigen Zuständen keine Rede sein, so Wagner, aber um die letzten Missverständnisse auszuräumen, habe man beschlossen, einen Schritt weiterzugehen: „E-Haft, die Ernst-Haft, bringt den Bürgern die Sicherheit einer Sicherheitsverwahrung mit unbeschränkter Verhaftung.“
Hessens Staatsanwälte hätten das Konzept intern bereits begrüßt, und bei der Polizei seien die Reihen der Befürworter schon nahezu geschlossen, so Wagner. Angesprochen auf die näheren Ziele der E-Haft, gab Wagner preis: „Es geht um Delinquenten vom Schlage des Boxmanagers Ebby Thust, der Liedermacherin Sabrina Setlur oder des Fernsehmoderators Johannes B. Kerner. Die gehören, das haben Straßenumfragen deutlich gezeigt, hinter Gitter, und zwar in E-Haft. Ernsthaft. Unsere Polizeipsychologen entwickeln gerade neuartige Verhör- und Verwahrungstechniken. Vielversprechend scheint mir zum Beispiel die Selbstkonfrontationstherapie zu sein: Thust wird in eine voll verspiegelte Zelle gesteckt, Setlur unter Kopfhörer à la Hannibal-Lecter-Maske, und Kerner muss von morgens bis morgens Aufzeichnungen seiner eigenen Sendungen sehen. Auf Geständnisse werden wir nicht lange warten müssen.“ Greifbar seien, schloss Wagner, zunächst sämtliche prominente Personen, die sich innerhalb der Grenzen Hessens aufhielten.
Doch auch außerhalb Hessens wollen die Behörden aktiv werden. Es lägen Pläne bereit, in Den Haag einen internationalen E-Haft-Antrag samt Auslieferungsgesuch zu stellen, um den belgischen Barden Helmut Lotti aus dem Verkehr zu ziehen. Hauptgrund sei, bestätigte ein Justizsprecher in Wiesbaden, dass Lotti, der irrtümlich, wie auf seiner Website nachzulesen sei, als ein „sehr sympathischer Superstar“ gehandelt und als „der König Midas der Popmusik“ bezeichnet werde, „in Wahrheit nichts als ein, entschuldigen Sie bitte den Ausdruck!, Scharlatan und Mistmacher ist“, so der Sprecher, der weiter erklärte: „Der nennt sich selbst den ‚Klang-Alchimisten aus Gent‘. Neun Alben schlagen bisher zu Buche. Das sind mindestens neun zu viel! Einsperren! Klappe zu! Schlüssel wegwerfen!“
„Denkbar wäre natürlich genauso“, ergänzt Dienstherr Wagner, „im Zuge der nächsten Tournee von Helmut Lotti vor Ort zuzuschlagen. Lotti wird sich mit Sicherheit wieder in Hessen blicken lassen, in der Frankfurter Festhalle oder im ‚Kurcafé‘ in Bad Soden. Da die Bundesregierung nichts unternimmt, liegt es umso mehr an uns, den Volksgeschmack wieder auf den festen Grund des Gesetzes zu stellen.“
Zu rechnen ist in unserer Welt des steten Wandels ja mit allerlei. Aber dass jetzt gerade die lustigen Hessen ernst zu machen scheinen in Sachen Kulturmüllabfuhr und Pappnasenverwahrung, versetzt uns doch in Erstaunen. Die Verantwortlichen sollten jedenfalls standhaft bleiben und nicht davor zurückschrecken, weltweit für das Modell E-Haft zu werben. Dann wird so schnell niemand mehr über das kleine Volk im rechtsstaatlichen Herzen Deutschlands lachen. JÜRGEN ROTH