dschungelbuch für ehemalige von RALF SOTSCHECK
:

Es ist die Show der Abgehalfterten und Vergessenen. Auf Deutsch heißt sie „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“, die englische Originalversion nennt sich „I’m A Celebrity – Get Me Out Of Here“. Die Vergangenheitsform wäre angebrachter. Die Leute, die sich für den Sender ITV seit kurzem im australischen Dschungel tummeln, waren früher mal wer: der ehemalige Popstar Peter Andre, das ehemalige Atomic Kitten Kerry McFadden, die ehemalige George-Best-Ehefrau Alex, der ehemalige Fußballer Neil Ruddock, die ehemalige BBC-Königshausreporterin Jennie Bond, die ehemalige Leichtathletin Diane Modahl und der ehemalige Versicherungsbetrüger Lord Brocket.

Wer lediglich durch längst verblassten Ruhm zu charakterisieren ist, muss bei jeder Peinlichkeit mitmachen, um noch mal ins Gespräch zu kommen – und seien es nur Mitleidsbezeugungen am Stammtisch. Offenbar zieht es bei englischen wie bei deutschen Zuschauern, wenn ein Schlagerfossil den ergrauten Kopf in einen Behälter mit Insekten steckt und dabei vor Abscheu quietscht. Bei ITV quietschen die Programmdirektoren vor Begeisterung: Bis zu elf Millionen Menschen schauen beim dumpfen Dschungeltreiben zu. Das liegt vor allem am Fotomodell Jordan und ihren „aufgeblasenen Seite-3-Ballons“, wie John Lydon taktlos anmerkte. Lydon war bis vor kurzem Publikumsliebling, hatte aber vom Dschungel die Nase voll: Als er vorigen Dienstag von den Zuschauern nicht aus der Sendung gewählt wurde und deshalb nicht nach Hause durfte, beschimpfte er die Leute live in die Kameras als „verfickte Fotzen“.

Zwei Tage später machte er sich davon und zog in ein Fünf-Sterne-Hotel. „Einige Zuschauer fanden sein Verhalten merkwürdig, weil er sich ständig mit Eidechsen unterhielt“, schrieb der Guardian überrascht. Merkwürdig? Verdammt, Lydon hieß früher Johnny Rotten und war Sänger der Sex Pistols. Damals sang er „God save the Queen and her fascist regime“ und löste bei Elisabeth II. einen Wutanfall aus. Heutzutage ist die Ehemaligen-Show ihre Lieblingssendung. Ahnt sie, dass sie auch bald zu den Ehemaligen gehört? Oder malt sie sich aus, wie sie ihren Ältesten in der nächsten Staffel unterbringt – und keiner wählt ihn aus dem Dschungel heraus?

Mit Rotten ist ITV jedenfalls das größte Zugpferd neben Jordan abhanden gekommen. Ein Höhepunkt war, wie er sich den Körper mit Vogelfutter einschmierte und zwölf ausgewachsene Strauße an sich herumpicken ließ. Als dann aber Peter Andre das Lied „Insania“ komponierte und Jordan damit anschmachtete, verlor Rotten die Nerven und wollte nur noch weg.

„John Lydon tut es furchtbar Leid, und er drückt sein Bedauern darüber aus, dass er solch böse Worte gewählt hat“, sagte eine ITV-Sprecherin. Dabei sind nicht mal achtzig Beschwerden beim Sender eingegangen. Früher schaffte Rotten das Zehnfache, bevor er überhaupt den Mund aufmachte. Inzwischen heißt er Lydon und ist Immobilienmakler in Los Angeles. Wären Punk und Johnny Rotten nicht längst beerdigt, so wäre Ruddocks Äußerung nun ihr Todesurteil gewesen: „Abgesehen von seinen Furcht erregenden Augen ist Herr Rotten ein netter Junge“, sagte der Dschungelmitbewohner vorige Woche.