: Vier Engel für Glietsch
Die zunehmende Gewalt unter Jugendlichen fordert von der Polizei neue Antworten. Die setzt nicht auf Repression. Drei Männer und eine Frau sollen Vorbild für die neue Präventionsarbeit werden
von PLUTONIA PLARRE
Sie sind die Task-Force von Schönberg-Nord. Ihr Ziel ist es, den sozialen Frieden zu bewahren und der Kriminalität vorzubeugen. Die aus drei Polizisten und einer Polizistin bestehende Truppe, die offiziell Präventions- und Ermittlungsteam (PE-Team) heißt, wirkt schon seit vielen Jahren mit spürbarem Erfolg in dem problembelasteten Stadtteil. Den Medien war dies nie eine Schlagzeile wert. Aber auch die Polizeiführung hat sich für die Arbeit des beim Polizeiabschnitt 41 in der Gothaer Straße beheimateten PE-Teams nie sonderlich interessiert. Dabei ist die Truppe einmalig in Berlin.
Das könnte nun anders werden. In Zeiten, in denen die Gewaltdelikte von Jugendgruppen zunehmen und junge Männer nichtdeutscher Herkunft im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil häufiger beteiligt sind als gleichaltrige Deutsche, sind andere Wege gefragt. Als eine von mehreren Maßnahmen lässt Polizeipräsident Dieter Glietsch in seiner Behörde zurzeit prüfen, ob das PE-Modells „auf acht bis zehn“ weitere Polizeiabschnitte in der Stadt ausgeweitet werden kann. Oben auf der Agenda stehen die Bereiche Kottbusser Tor, Bahnhof Zoo und Alexanderplatz, wo die Straßenkriminalität besonders hoch ist. Die Berichte über die Arbeit des Schöneberger Teams hätten ihn überzeugt, sagt Glietsch zu taz. Es gehe nicht um eine 1:1-Übertragung, sondern um eine individuelle Ausrichtung der Polizeiarbeit auf die Bedürfnisse vor Ort. „Der Aufwand lohnt sich“, so Glietsch.
Angesichts der positiven Erfahrungen in Schöneberg-Nord stellt sich die Frage, warum das Modell nicht schon früher ausgeweitet wurde. „Community Policing“ nennt sich das, was die vier Polizisten machen. Zu Deutsch: Die Polizei praktiziert Bürgernähe, führt die unterschiedlichen Akteure, die mit einem Problem im Kiez zu tun haben, zusammen und sucht selbst nach Lösungen. In Chicago, Barcelona, Holland, Schweden und Dänemark werde schon lange so gearbeitet, sagt Henry Maiwald, der das 1997 gegründete PE-Team leitet. „Polizisten sitzen am liebsten im schnellen Auto, nehmen gerne fest und erstatten in dienstkundlichen Schreibvorgängen Bericht“, beschreibt der 51-jährige Polizeihauptkommissar die herrschende Arbeitsauffassung seines Berufsstandes. Unter moderner Polizeiarbeit, die zudem auch kostengünstig sei, verstehe er etwas anderes: „Prävention braucht Partner.“
Zwei Jahrzehnte hatte die Drogenszene den Alltag in Schönberg-Nord geprägt. Ein permanenter Verfolgungsdruck, eine gute Kooperation mit dem Bezirksamt und ein stetiger Austausch mit den Anwohnern führten Ende der 90er-Jahre dazu, dass Dealer und Junkies in andere Stadteile abwanderten. Die Drogenbekämpfung sei der Auslöser für den Einsatz des PE-Teams gewesen, sagt Maiwald. Danach wurde die Sache zum Selbstläufer. Maiwald und seine Leute sind gern gesehene Gäste auf den Kiezgremien, kennen die Rektoren sämtlicher Schulen, haben ihr Ohr dicht an der Bevölkerung. Ihre Spezialität ist es, Probleme zu lösen, vor denen andere schon kapituliert haben. Über die Treberhilfe erfuhren sie, dass eine junge, drogenabhängige Prostituierte auf der Kurfürstenstraße von einem Freier verfolgt wurde.
Der Mann hatte sich in die Frau verliebt und verfolgte sie mit dem Auto sogar bis vors Stundenhotel. Schließlich reichte es der Frau, und sie knallte dem Freier eine. Der erstattete Strafanzeige, verfolgte die Frau aber weiter. Als sie sich bei Streifenbeamten beschwerte, bekam sie zu hören: Da könne man nichts machen, es liege keine Straftat vor. Maiwalds Team traf sich mit der Frau und lud den Freier zu einem persönlichen Gespräch. „Der Mann hat die Frau als blöde Kuh bezeichnet und von ihr abgelassen. Dahinter steckt, dass er sich nicht mehr als Opfer darstellen konnte, weil er aus der Anoymität herausgeholt war“, so Maiwald.
Auch was junge Serienstraftäter angeht, die die Öffentlichkeit zurzeit so beschäftigen, kann das PE-Team mit Erfolgsgeschichten aufwarten. Zum Bespiel mit der von dem 12-Jährigen mit Spitznamen Oskar, einem echten Problemfall, der schon viele Schüler abgezogen hatte. Nach einem Gespräch mit Oskar, dessen Mutter und Mitarbeitern des Jugendamtes, wurde dem Jungen ein Platz bei einem Sozialprojekt besorgt, wo er seine Liebe zum Breakdance ausleben kann. Seither gibt er Ruhe.