: Krieg ist die beste Unterhaltung
Reisen in den Krieg gestern und heute. Berichte von Kriegen stehen am Anfang der abendländischen Kulturgeschichte. Ein Überblick
von MARTIN HAGER
Die wichtigste Erkenntnis der aktuellen Kriegsberichterstattung ist: Krieg ist beste Unterhaltung, eine Fortsetzungsserie mit täglich neuen Folgen. Der Kriegsberichterstatter – der wahre Kriegsheld – ist der Individualreisende inmitten der Pauschaltouristen – der einfachen Soldaten. Dieses Prinzip beginnt sich allerdings aufzulösen durch das Phänomen der embedded journalists. Dieser Strategie der amerikanischen Militärs ist es gelungen, den Ruf nach mehr Information mit dem eigenen Bedürfnis nach größtmöglicher Kontrolle zu verknüpfen. Wer Teil der Truppe ist, geht ganz von selbst zum gemeinschaftlichen „wir“ über.
Berichte von Kriegen stehen am Anfang der abendländischen Kulturgeschichte: Die Ilias des Homer berichtet von der (sagenhaften) 10-jährigen Belagerung Trojas, Gaius Julius Caesar erklärt den Römern in seinem „Gallischen Krieg“, warum es für das Imperium notwendig war, dieses unbotmäßige Volk im hohen Norden zu bekämpfen – trotz des enormen finanziellen Aufwandes. Es folgten weitere Kriege und Erzählungen davon: Der Simplicissimus von Grimmelshausen veranschaulichte den Dreißigjährigen Krieg aus Sicht des kleinen Mannes, Goethe und Klopstock reisten als Revolutionstouristen nach Frankreich. Doch erst das 19. Jahrhundert sah die Erfindung des war correspondent, wie er das heutige Bild prägt: Der Brite William Howard Russell kam auf die Idee, während des Krimkriegs in den 1860ern nicht auf die Informationen der Militärs nach der Schlacht zu setzen, sondern die Szenerie selbst in Augenschein zu nehmen – mit durchschlagendem Erfolg. Mit seinen Berichten in der Times wurde er zum Vater der Kriegsberichterstattung, scheute er sich doch nicht, von Epidemien in der Etappe, von verheerenden strategischen Fehleinschätzungen und Ähnlichem zu berichten. Ein eilends von der britischen Militärführung nachbeorderter Fotograf, der den schlimmen Texten schöne Bilder entgegensetzen sollte, kam zu spät: Der Krieg war gewonnen, die Schlacht um die öffentliche Meinung verloren. Die Regierung musste zurücktreten.
Eine weitere Zäsur brachte der Erste Weltkrieg. Schmückten heroische Gedichte noch seine Anfangszeit, so brach bald Ernüchterung aus. In Deutschland zeichneten sich zwei Linien ab. Während Ernst Jünger mit „In Stahlgewittern“ ein Kriegstagebuch vorlegt, das bei aller Sachlichkeit der Faszination der menschlichen wie technischen Kampfmaschinen erliegt, stellt Erich Maria Remarque die Sinnlosigkeit, die totale Desillusion in den Vordergrund – obwohl auch er sein Buch „Im Westen nichts Neues“ nicht als Antikriegsroman verstanden haben will.
Vor dem Zweiten Weltkrieg tritt ein neues Phänomen zutage, insbesondere bei den Briten, seit Beginn der imperialistischen Phase ungeschlagene Fachleute in Sachen Reisebericht. Eine junge Generation von (Reise-) Schriftstellern – zu jung um aktiv am Ersten Weltkrieg teilgenommen zu haben – wendet ihr Interesse von der Exotik Afrikas und Südamerikas ab und einer neuen Region zu, dem Krisengebiet: Evelyn Waugh, begnadeter konservativer Satiriker, erwartet 1935 für die Daily Mail die Invasion der Truppen Mussolinis im äthiopischen Addis Abeba, W. H. Auden und Christopher Isherwood machen eine „Journey to a War“ nach China, wo die Japaner einmarschieren, George Orwell geht nach Spanien. Ihre Bücher lassen sich drei Archetypen des Kriegsberichts zuordnen.
Waugh zeigt sich als distanzierter Beobachter, der mehr dem Sujet selbst seine Aufmerksamkeit widmet denn dem Krieg selbst. Sein Buch „Waugh in Abyssinia“ handelt von den Trinkgelagen der Journalisten in Erwartungen der Invasoren, von erfundenen Spionagefällen, die nur dazu dienen, die Anwesenheit der Journalisten gegenüber ihren Auftraggebern zu rechtfertigen. Auden und Isherwood dagegen entrüsten sich aufrichtig über die Japaner und zeigen sich doch zugleich fasziniert von dem Schauspiel der über den Himmel ziehenden japanischen Flugzeuge. Am besten, so Isherwood, lege man sich mit Sonnenbrille ausgerüstet auf den Rücken. Orwell wiederum („Homage to Catalonia“) merkt rasch, dass nur der eigene aktive Einsatz seinen Bedürfnissen entspricht.
Der Zweite Weltkrieg ist journalistisch zu vernachlässigen, Feldberichterstatter in Uniform bestimmen das Bild. Einer von ihnen, Lothar Günther Buchheim, hat mit „Das Boot“ dem deutschen Überlebenswillen ein Zeichen gesetzt. Der Vietnamkrieg dagegen ist das reine Delirium, verkörpert von Michael Herr, der für Esquire schreibt und die Surrealität dieses Unternehmens in einer Art erzählt, die „Apocalypse Now“ kongenial vorwegnimmt. Wie viel davon der Realität entsprach, ist bis heute nicht geklärt. In konservativen Fachkreisen herrscht die Meinung vor, der Krieg sei verloren worden, weil die Journalisten durch ihre Berichterstattung die Heimatfront zermürbten.
Einen weiteren Paradigmenwechsel bringt der Bosnienkrieg. Der empathische Beobachter kehrt auf die Bühne des Geschehens zurück, die Weltpresse ergreift Partei für die bosnischen Muslime – mit Ausnahme von Peter Handke, der sich auf die Seite der Serben schlägt.
Der erste amerikanisch-irakische Golfkrieg wiederum wird in seiner Bildlosigkeit von der französischen Philosophie zum virtuellen Krieg erklärt. Man sieht nur Staub und liest von irakischen Gräueltaten – Propaganda, wie sich später herausstellt.
Und schließlich die Gegenwart: Eingebettete Journalisten einerseits, war blogs andererseits, die ihre Berichte ausschließlich im Internet veröffentlichen (blog = weblog, ein Wortspiel aus Logbuch und einloggen) und – auf Unabhängigkeit pochend – statt eines Honorars von Spendengeldern leben. Der bekannteste von ihnen, Christopher Allbritton (www. back-to-Iraq.com) hat schon stolze 10.000 Dollar zusammen, er befindet sich im Nordirak und kommentiert von dort täglich das Geschehen. Eine Entwicklung, die gleichzeitig hoffnungslos und hoffnungsvoll ist. Während das Militär eine lange nicht mehr gekannte Einflussnahme auf die Journalisten ausüben kann, entwickelt sich eine Gegenöffentlichkeit mit grass-roots-Mentalität.