: Liebesgeschichte im Zeitraffer
Tango ist nicht nur Erotik, für manche scheint er eine Obsession zu sein. Dieser Eindruck lässt sich gewinnen, wenn man in einer lauen Nacht in Bremens offenen Tango-Treffs unterwegs ist. Die Szene an der Weser zählt rund 1.500 Tänzerinnen und Tänzer
In einer schwülen Sommernacht, in der im Bremer Ostertorviertel eine schwere Wolke aus Dönerdunst, Zigarettenrauch und aufdringlichem Parfüm durch die Gassen kroch, begegnete ich zum ersten Mal dem Tango Argentino.
Im Lagerhaus, in das ich in der Hoffnung auf Kühle flüchtete, drang aus dem oberen Stockwerk leise der Klang eines Bandoneons. Geleitet von der unerwarteten Melodie fand ich mich wieder inmitten tanzender Paare in schummrigem Licht. Ich drückte mich auf einen der Barhocker, wurde augenblicklich von der Konzentration im Raum gefangen genommen.
Ich starrte auf die Menschen: Jung, alt, dick, dünn, groß, klein, zum Teil bizarr anmutende Pärchen. Der Tango erschuf Wesen mit mindestens vier Köpfen, acht Armen und einem Gewirr von Beinen. Erotisch? Vielleicht.
Aber da war noch mehr. Der Tango jener Nacht schien eine Obsession zu sein. Beim Betrachten des innigen, kraftvollen und eleganten Tanzes ahnte ich plötzlich, wie für wenige Minuten eine süße Illusion geboren wurde: Berührung, Kennenlernen, Ertasten. Und dann die verschiedensten Reaktionen darauf: kokett, anschmiegsam, launisch, abweisend, fordernd, traurig, melancholisch, fröhlich. Eine Liebesgeschichte im Zeitraffer. Kaum ein Tanz dauert mehr als vier Minuten. Ohne Worte und doch Kommunikation pur.
„Tango ist ein Weg“, sagt Christine Jacob, die ich Jahre später traf. Sie fasziniert der Tango schon seit 20 Jahren. Die Fünfzigjährige ist auch so eine Art Leitfigur der Bremer Tango-Szene. Ja, so etwas gibt es: Eine Tango-
Szene mitten im hohen Norden Deutschlands. Um genau zu sein, handelt es sich sogar um eine Bremer und Oldenburger Szene. Mit dem Standard-Tango des deutschen Tanzparketts habe das allerdings nichts zu tun, darauf weist Jacob nachdrücklich hin.
Auf 1.500 Leute schätzt Christine Jacob den Kern der Tango-Szene. „Entweder, man verfällt ihm, oder man merkt schnell, dass dieses intensive Zulassen von Körper- und Seelenausdruck nichts für einen ist“, konstatiert Jacob. Drei „Tango-Lokale“ hat die Bremerin schon eröffnet: Das La Cita, das Tanguero und den Salon del Norte. Die beiden ersteren musste sie nach Jahren schließen. Geblieben ist der Salon del Norte in Vegesack. Denn, so erklärt Jacob, die Szene erlebt natürlich auch ihre Hochs und Tiefs. Wenn man vor fünf Jahren noch jeden Tag im Viertel Tango tanzen konnte, beschränkt sich das heute auf dreimal die Woche. Dazu gehört das Lagerhaus und das La Milonga. Auch im Goethe-Theater findet einmal im Monat ein Tango-Abend statt.
Jakob ist eine Verfechterin der „offenen Orte“ für Tango. Dieser Tanz gehöre zur gesellschaftlichen Kultur und dürfe sich nicht auf Tanzschulen beschränken. Denn der Tango lebe erst wirklich durch die Begegnung vieler Menschen.
Und so treffen sie sich, die Tango-TänzerInnen. Im dämmrigen Licht verschmelzen sie für eine kurze Zeit zu einem Gedanken, den man tanzen kann.
Daniela Barth
Offene Tanzgelegenheiten in Bremen: La Milonga (Stader Str. 35): sonntags ab 20 Uhr (4 / erm. 3 €), mittwochs ab 21 Uhr (3 / erm. 2 €) und jeden zweiten Freitag (4 / erm. 3 €. Dazu Tangonächte am 26.4. und 30.4. ab 21 Uhr. Salon del Norte (Uhthoffstr. 56): Jeden ersten Samstag ab 19 Uhr inkl. Verpflegung (8 / 15 €). Bürgerhaus Hemelingen: Jeden zweiten Freitag ab 22 Uhr (3,50 €). Scenario (Friesenstr. 16/19): Jeden ersten und dritten Donnerstag ab 22 Uhr (3 €). Lagerhaus: montags ab 22 Uhr (2 €). Milonga a la Playa (im Wirtshaus Strand, Woltmershauser Str. 261): Jeden dritten Sonntag ab 16 Uhr (1 € plus 2 € Verzehr). Bremer Theater (Brauhauskeller): jeden zweiten Freitag