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Archiv-Artikel

Die Fisch-Show

Seit 300 Jahren ist am Elbufer Fischmarkt. Trotz der großen Sonntagssause: Man kann dort auch immer noch normal einkaufen gehen

von GERNOT KNÖDLER

Familie Hartenstein ist hart im Nehmen. Um 23 Uhr sind Heidemarie und Jürgen Hartenstein samt Tochter, Schwiegersohn und Enkel in Berlin-Marzahn in den Bus gestiegen. Jetzt gehen sie über den berühmten Hamburger Fischmarkt, in den um viertel vor fünf erst langsam Leben kommt. Die ganze Nacht haben sie kein Auge zugetan. „Das macht man ja nicht jeden Sonntag", sagt Jürgen Hartenstein.

Wer so früh am Morgen die Pier in St. Pauli bevölkert, ist mindestens ebenso hart wie die Hartensteins. Die meisten kommen jeden Sonntag. In Pinneberg stehen sie um halb vier auf, in Bremen gehen sie erst gar nicht ins Bett. Sie bauen Tische auf, legen glitzernde Uhren aus und stapeln Melonen, während die NachtschwärmerInnen noch Techno tanzen oder sich in den Bars im Kiez vollaufen lassen. Nur vor dem Tor der ehemaligen Fischauktionshalle haben sich eine Menge Leute versammelt.

Sven Kaiser aus Kassel zum Beispiel. „Jede Wette, ich komm' jetzt an die Kette“, steht auf seinem T-Shirt. In zwei Wochen will er heiraten. Vorher macht er mit seinen Kumpels in Hamburg noch einmal richtig einen drauf.

Drinnen in der Halle herrscht Langeweile. An den Biertischen hocken mittelalte Damen mit Kurzhaarfrisuren. Sie tragen Blazer oder bunte Anoraks und warten darauf, dass was passiert. Die Junggesellen essen im Stehen Fischbrötchen und trinken Kaffee aus Plastikbechern. Überhaupt Fischbrötchen: Kein Katerfrühstück ohne sie und erst recht kein Fischmarkt.

Gott sei Dank gibt es das „Kapitän's Eck“ mit seiner singenden Wirtin. Die stämmige Frau wiegt sich in den Hüften und trällert: „Hier wird die Sau geschlacht, hier wird die Wurst gemacht ...“, während sie immer neue Touristen aufs Achterdeck hinterm Tresen lotst. An den Tischen schunkeln sie und singen: „Flieger, grüß mir die Sonne ...“. Die Wirtin lobt Dieter an der Hammondorgel, worauf das Achterdeck aus vollem Hals „Dieter, Dieter ...“ skandiert.

Draußen kommt inzwischen „Bananen-Fred“ in Fahrt: Direkt vom Laster weg verkauft er „gute, stabile Körbe“. Kosten eigentlich 19 Euro, aber er verkauft sie für 10 und – „komm her“ – packt sie obendrein voll mit Obst: Pampelmusen, Orangen, Kiwis, Ananas, Pfirsiche, Bananen und Trauben. „Scheißegal“, brüllt er, „der Alte ist gerade nicht da“. 100 Leute lauschen fasziniert.

Am anderen Ende des Marktes schieben sich müde Menschen noch ein wenig trübselig zwischen den Fischständen hindurch. Während im 18. Jahrhundert ausschließlich Fische auf dem Markt verkauft werden durften, müssen sie heute mit einer Übermacht anderer Waren konkurrieren. Zeit für die Show, denkt sich der hohläugige Fischverkäufer von Aal-Burmeister und bedenkt den Kollegen vom Stand gegenüber mit haarsträubenden Schmähungen. „Du Hirnloser, du schläfst ja auf der Bild-Zeitung.“ Dieser bringt als Replik nur unverständliche Laute zustande. Nach kürzester Zeit drängt sich vor dem Stand die Menge, und das Schandmaul verkauft Räucherfisch-Tüten für 25 Euro. Wer das alles essen soll, weiß der Butt.

Auch in der Fischmarkthalle herrscht nun endlich Bierzeltstimmung. Angetrunkene versuchen, die Kapelle zu dirigieren. Ein Weißhaariger spielt Luftgitarre, ein anderer streckt die Handflächen von sich und wiegt rhythmisch den Oberkörper.

Hinter der Markthalle tuckert ein frühes Ausflugsschiff die Elbe entlang. Familie Hartenstein hatte ja eigentlich noch eine Hafenrundfahrt machen wollen. Hoffentlich verpasst sie nicht den Bus.