: Grillen und Schmetterlinge
Die Medienkrise (Teil 3): Was vom Qualitätsjournalismus der überregionalen Zeitungen übrig bleibt
von STEFFEN GRIMBERG
„Was wäre wenn – Vom Paradox des ‚Worst Case Szenario‘ oder: wie man mit dem Schlimmsten rechnet“, betitelte im März die Süddeutsche Zeitung einen Aufmacher im Feuilleton des Blattes – und hätte sich genau so gut selbst meinen können: Am Wochenende zuvor war der erst 14 Monate alte NRW-Teil des Blattes eingestellt worden.
Und an eben dieser Einstellung einer regionalen Beilage entzündete sich die aktuelle Debatte um die Zukunft des Qualitätsjournalismus. „Ist der überregionale Kurs der Süddeutschen Zeitung nach Ende des NRW-Teils in Gefahr?“, fragt das Blatt selber am Tag der Einstellung auf seiner Medienseite, und das „Streiflicht“ wurde zum Epitaph in eigener Sache: „Ausgehend davon, dass die NRW-Ausgabe dieses Blattes zum heutigen Samstag eingestellt wird, obwohl die Kolleginnen und Kollegen beste Arbeit geleistet haben; in Erwägung ferner des Umstands, dass die Redaktion der SZ bei weiteren Einschnitten irreparable Schäden fürs Blatt und den Journalismus insgesamt befürchtet (…); eingedenk all dessen sah sich das ‚Streiflicht‘ heute außerstande aufs gewohnte, den Lesern und ihm selbst lieb gewordene Format anzuwachsen.“ Der Rest war Weißraum.
Ein überregionales Blatt bereitet sich ganz konsequent auf die Rückkehr in der Region vor: die Frankfurter Rundschau. Beim Axel Springer Verlag wird offenbar auch der schleichende Abschied vom Vermächtnis des Verlagsgründers eingeläutet, die stets sieche Welt durch die anderen Springer-Blätter zu subventionieren. Nun hatte der Springer-Chef Mathias Döpfner in einem Interview mit der FAZ recht ungeniert argumentiert, von den überregionalen Qualitätszeitungen blieben am Ende der Krise wohl nur zwei übrig. Dies, so Döpfner später, sei eher menetekelhafte Warnung als konkrete Prognose gewesen.
Wenn die Berater von Roland Berger et al und die Betriebswirte in den Verlagen so weitermachen wie bisher, könnte Döpfners Menetekel aber bald bittere Realität werden. „Wir werden nicht allzu viele Qualitätszeitungen mehr haben“, orakelte jüngst auch Ex-FAZ-Geschäftsführer Jürgen Becker. Immer wieder diskutierte Preiserhöhungen seien da höchstens Tropfen auf den heißen Stein: „Man ist sicherlich bereit, für Qualitätszeitungen mehr Geld auszugeben, aber irgendwo sind Grenzen.“ Es sei eben der redaktionelle Aufwand“, der so „tief in die Kosten“ gehe, sagt Becker und offenbart die schlichte betriebswirtschaftliche Denke, die den so genannten Verlegern von heute eigen ist. Doch Zeitungen sind keine Zahnpasta, und wie anders man den gleichen Sachverhalt bewerten kann – und verlegerisch eigentlich bewerten müsste –, machte denn auch FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher seinem Exkollegen Becker vor: „Wie die Leimruten die Fliegen, fingen sich in den Nischen der Redaktionen und Ressorts noch die seltensten Grillen und Schmetterlinge, kleine Kostbarkeiten in der Woche und am Samstag und Sonntag.“ All dies, so Schirrmacher, sei beinahe ein „nie gewürdigtes Wunder“, dass derart „anspruchsvolle Medien letztlich zu einem Spottpreis (…) erfolgreich waren und sogar noch Profite erwirtschafteten. Vielleicht muss man in profaneren Zeiten, wo es Wunder nicht mehr gibt, darüber nachdenken, was einem Wissen wert ist.“ Seit dem Sommer 2002 hat auch die FAZ rund 100 ihrer über 400 Redakteursstellen abgebaut.
Bisher erschienen: „Frisches Geld, dringend gesucht!“ (19. April) und „König Kunde? Denkste!“ (26. April)