SILVIO BERLUSCONI STEHT VOR GERICHT – UND GEFÄLLT SICH ALS ANKLÄGER : Justiz unter Kontrolle
Als Mann der Tat hatte Silvio Berlusconi sich den Bürgern im Wahlkampf vor zwei Jahren präsentiert. Er hat den Mund nicht zu voll genommen. Andere Regierungschefs würden zittern, wenn einer ihrer engsten Mitarbeiter wegen Richterbestechung zu elf Jahren Haft verurteilt worden wäre und wenn sie selbst in einem zweiten Prozess als Angeklagte erscheinen müssten. Italiens Ministerpräsident aber zittert nicht.
Denn er ist gar nicht Angeklagter, auch wenn er sich gegen den hässlichen Vorwurf verteidigen muss, 1985 mit Schmiergeldern ein für sein Unternehmen positives Gerichtsurteil erkauft zu haben. Berlusconi gefällt sich in der Position des Anklägers. Wenn er der „kriminellen Justiz“ den Kampf ansagt, meint er nicht jene Richter, die er bestochen haben soll, sondern diejenigen, die es wagen, ihm auf den Leib zu rücken. Und selbst wenn die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in den Bereich Wirtschaftskriminalität fallen, gibt Berlusconi den politisch Verfolgten: Schließlich werde da dem Ministerpräsidenten der Prozess gemacht, dies sei ein Versuch, den Wählerwillen zu durchkreuzen. Nach dieser Logik steht Berlusconi über dem Recht. Und so fordert er die Aussetzung aller Prozesse gegen den Ministerpräsidenten bis zum Ende seiner Amtszeit, dazu die Wiedereinführung einer umfassenden Immunität für Abgeordnete.
Doch schon vorab kann er einen womöglich noch größeren Erfolg verbuchen. In Italien bangt die Opposition – und nicht etwa die Regierung –, die Prozessverstrickungen Berlusconis könnten zum Argument im laufenden Kommunalwahlkampf werden. Mit seiner nunmehr seit Jahren laufenden Kampagne gegen die Justiz hat Berlusconi es geschafft, die Mär von den bösen roten Richtern zum Volksglauben zu machen. Die Opposition ist ihm dabei zur Hand gegangen, mit der bizarren Theorie, man dürfe Berlusconi nicht in die Opferrolle drängen. Es war ein Friedensangebot; Berlusconi nahm es als Freifahrtschein. Und ist jetzt fast an seinem Ziel: der endgültigen Unterwerfung der Justiz – und damit ganz nebenher dem endgültigen Ende seiner Prozesse. MICHAEL BRAUN