: In Preußen zu Hause
Gelassener Querulant: Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg ist neuer Präsident der Berliner Akademie der Künste
Adolf Muschg weiß nur zu gut, was sich für einen Schweizer Schriftsteller gehört, der gerade zum neuen Präsidenten der Berliner Akademie der Künste gewählt worden ist. So versäumte er es in seiner Antrittsrede nicht, ausgiebig die neue Wirkungsstätte zu loben und zu preisen und die eigenen Verbindungen zu Berlin zu betonen: Als Schweizer müsse man an Berlin allein schon „hängen“, weil in Berlin mit Gottfried Kellers „Der grüne Heinrich“ das „größte literarische Werk“ der Schweiz geschrieben worden sei.
Ein Stück Heimat gewissermaßen, zumal Muschg selbst in Berlin sein persönliches Glück fand und hier 1988 als Fellow des Berliner Wissenschaftskollegs seine japanische Frau kennen lernte. Der 69-jährige Muschg ging in seiner Rede aber noch ein Stück weiter: „Das verschwundene Preußen ist ein Stück Heimat für mich“, gestand er und erinnerte an Fontane, Chamisso, Arnim und das holländische Preußen in Potsdam.
Adolf Muschg gilt als einer der wichtigsten Schweizer Gegenwartsautoren. Gern wird er in einem Atemzug mit Friedrich Dürrenmatt oder Max Frisch genannt, deren internationales Schwergewicht er mit seinen zahlreichen Romanen, Essays und Theaterstücken bislang jedoch nicht recht erreicht hat. Dürrenmatt bezeichnete einmal sogar, etwas unbedacht und gemein, Muschgs Bücher als „manchmal langweilig“. Vielleicht meinte er damit ihren ausladenden historischen und hochkulturellen Bildungsstoff, der Kenner mit der Zunge schnalzen lässt, aber nichts ist für Leser, die an knackig erzählten und trotzdem tief greifenden Geschichten interessiert sind.
Muschg ist ein Schriftsteller, der mit Vorliebe Helden erfindet, die alles dafür tun, dem Glück erfolgreich aus dem Weg zu gehen, wie auch seine jüngsten Veröffentlichungen beweisen. In seiner biblisch eingefärbten Erzählung „Das gefangene Lächeln“ findet ein junger Architekt namens Joseph Kaspar Kummer nach seiner Rückkehr von einer langen Reise seine unberührte Verlobte Magda schwanger vor. Er schlägt sie tot, sie aber überlebt, was Joseph erst vierzig Jahre später erfährt und nun seinem Enkel zu erklären versucht. Wie mit dieser Schuld und diesem Schicksal leben? Auch der pensionierte Gerichtsreporter Sutter in „Sutters Glück“ ist ein Mensch, der auf seine alten Tage hin noch erfahren muss, Täter und Opfer zugleich zu sein.
Verarbeitet Muschg in seinen Romanen nur die großen und schweren Themen – Schuldfragen, das Verhältnis von Geist und Macht, die innere Deformation des Bürgertums –, so gilt er im richtigen Leben, zumindest in der Schweiz, wahlweise als „Nestbeschmutzer“, der 1997 eine Mitverantwortung der Schweiz an den Gräueln der Nazis einklagte: „Wenn Auschwitz in der Schweiz liegt: Fünf Reden eines Schweizers an seine und keine Nation“. Oder als „Querulant“, der einst mit randalierenden Punks in Zürich sympathisierte oder sich als Kritiker des Schweizer Isolationismus gibt. So einen kann die zuweilen schläfrig und harmlos daherkommende Akademie der Künste in jedem Fall gebrauchen.
Allerdings weiß Muschg genauso gut, was zu sagen ist, wenn man einer von Geldsorgen geplagten Institution voransteht. Er versprach „Gelassenheit“ und zitierte einen Schweizer Soldaten in der Armee Friedrich des Großen: „Ich will’s überleben.“
FRANCIS BERGMANN