: „Keine Prämie auf Gewalt“
Politologe Herfried Münkler rät von Verhandlungen mit baskischen Terroristen ab. Beteiligung von al-Qaida unwahrscheinlich
INTERVIEWHEIKE HOLDINGHAUSEN
taz: Wer die Anschläge von Madrid verübt hat, war gestern am späten Nachmittag noch nicht ganz klar. Kann es al-Qaida gewesen sein?
Herfried Münkler: Es ist nicht ganz auszuschließen, dass nicht die ETA diesen Anschlag ausgeführt hat, sondern Spanien wegen seiner Beteiligung am Irakkrieg ein Anschlagsziel von al-Qaida geworden ist. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht – zwar hat der spanische Regierungschef José María Aznar große Worte gemacht, aber im Gegensatz zur Beteiligung etwa der Briten ist der spanische Beitrag im Irak gering. Diese geringe Kriegsbeteiligung reicht als Begründung für einen Anschlag dieser Dimension schwerlich aus.
Die ETA soll logistisch gar nicht in der Lage sein, solche großen Anschläge zu planen. Kann al-Qaida geholfen haben?
Möglich ist das, ich glaube aber nicht daran. Die Folgen der Anschläge waren zwar immens, ihre Planung aber war auch für die ETA machbar. Solche Attentate haben sie immer ausführen können, so aufwändig ist das nicht. Man muss nur in Zügen Sprengmittel deponieren.
Bisher hat die ETA eher Polizisten und Militärs umgebracht, keine Zivilisten. Sieht das nicht doch eher nach al-Qaida aus?
Das stimmt. Aber die ETA steckt zurzeit in erheblichen politischen Schwierigkeiten. Die Gruppe hat sich lange finanziert, indem sie im Baskenland wohlhabende Leute „besteuert“, nämlich flächendeckend erpresst hat. In den letzten zehn Jahren hat es eine große Abwanderung von „besteuerbaren“ Personen gegeben. Der ETA ist viel an Logistik ausgetrocknet. Die frühere Sympathie und Unterstützung der Bevölkerung im Baskenland ist dramatisch zurückgegangen. Dieser untypisch brutale Anschlag ist Ausdruck der Krise ihrer Organisation, in der sie die Gewalt eskalieren lässt. Auf diese Weise will sie auch ihr Erpressungspotenzial gegenüber dem Staat erhöhen.
Die ETA ändert also ihre Strategie?
Ja. Der klassische Terrorismus hat „einen zu interessierenden Dritten“ im Auge, also die angenommene oder die latente Unterstützung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Bei sozialrevolutionären Gruppen sind das etwa das Proletariat oder die Völker der Dritten Welt. Bei ethnoseparatistischen Gruppen sind das ethnische Minderheiten. Diese Figur des zu interessierenden Dritten hat dazu geführt, dass sie keine Anschläge machen konnten, bei denen einer von ihnen zu Tode oder zu Schaden gekommen wäre. Sie konnten keine massenhaften, unspezifischen Anschläge durchführen.
Und was ist jetzt anders?
In dem Augenblick, wo der klassische Terrorismus zunehmend eine Form des radikalisierten Kleinkriegs geworden ist, in dem der politische Wille des Gegners mittels Gewalt gebrochen werden soll, ist es attraktiv geworden, die Infrastruktur, ob Straße, Schiene oder Flugverkehr, anzugreifen. Hier ist der Gegner am schwächsten und die Zahl der Opfer am größten. Das ist die Abkehr vom klassischen Terrorismus, diese neue Form ist so im Nahen Osten erfunden worden.
Die ETA hat also ferngeschaut und die Bilder aus Bagdad oder Jerusalem gesehen?
So kann man es sagen.
Gibt es eine sinnvolle politische Reaktion auf die Anschläge?
Der Staat muss der Versuchung widerstehen, mit der ETA in Verhandlungen einzutreten. Natürlich kann es sein, dass es dann wieder zu Anschlägen kommt.
Die Regierung kann also nur falsch handeln?
Diese Anschläge haben das Ziel, das Erpressungspotenzial zu erhöhen. Kurzfristig sind Verhandlungen immer eine Lösung. Langfristig sind sie eine Prämie auf Gewalt. Demokratische Gesellschaften haben dann ein dramatisches Potenzial an Erpressbarkeit. Sie müssen die Entscheidung treffen, ob sie die Terroristen als Verhandlungspartner aufbauen wollen, um zu einem politischen Agreement zu kommen. Das haben bisherige, gerade sozialistische spanische Regierungen auch versucht. Durch die Marginalisierung des politischen Arms der ETA hat die militärische Fraktion die Überhand gewonnen. Nun gibt es nur die Möglichkeit, sie polizeilich zu zerschlagen. Die Briten haben mit der Sinn Féin den politischen Arm der IRA stark gemacht. Die Spanier haben die Erfahrung gemacht, dass das mit der ETA nicht klappt. So gibt es keinen Verhandlungspartner auf der anderen Seite, mit dem sich Kompromisse erreichen lassen.