: Nicht noch ein Pinguin-Film
Der Filmemacher Werner Herzog gibt mit seinem beeindruckenden Antarktis-Film „Encounters At The End Of The World“ Einblicke in das Leben abseits des Lebens – und bekommt dafür vielleicht seinen ersten Oscar
Nein, einen weiteren Pinguin-Film würden sie von ihm nicht bekommen, das hat Werner Herzog der National Science Foundation gleich klargemacht, als die US-Einrichtung ihn in die Antarktis eingeladen hat. Herzogs Fragen an die Natur waren schon immer andere: Warum tragen Menschen Masken oder Federschmuck, um ihre Identität zu verbergen? Warum satteln sie Pferde und jagen Bösewichten hinterher? Warum halten sich Ameisen Sklaven, um Zucker aus ihnen zu melken? Und warum reiten Schimpansen keine Ziegen in den Sonnenuntergang?
Aber die Chance, seine Lebensaufgabe – die filmische Erforschung des Wahnsinns, des Extremen, des Bizarren, des Exzentrischen, des Sonderbaren und des Außergewöhnlichen am und im Menschen – am sprichwörtlichen Ende der Welt selbst, dem letzten Kontinent, auf dem Herzog noch nicht gedreht hatte, weiterzuführen, die hat sich der Filmemacher natürlich nicht entgehen lassen. Zumal sein Musiker-Freund Henry Kaiser, begeisterter Hobbytaucher, Produzent des Films und Komponist seiner Musik, mit beeindruckenden Unterwasseraufnahmen aus dem McMurdo-Sund in der Antarktis Herzogs Interesse an dem Ort fern der Zivilisation ohnehin längst geweckt hatte. Schon in seiner bizarren „Science-Fiction-Fantasy“ „The Wild Blue Yonder“ haben Kaisers Bilder vor drei Jahren ihre faszinierende Rolle gespielt.
Herzogs Ziel, das Ende der Welt, ist die McMurdo-Station auf der Südspitze der Ross-Insel, die größte Forschungs- und Logistikstation des Kontinents – und mit über 1.000 BewohnerInnen im Sommer zugleich die größte Siedlung im ewigen Eis: eine Ansammlung von 85 Containern, die zwar über eine eigene Zeitung und einen eigenen Fernsehsender verfügt und von 1962 bis 1972 den einzigen Atomreaktor auf Antarktika beheimatet hatte, mit beeindruckender Landschaft und putzigen Pinguinen aber geizt. Wie eine lärmende Bergbausiedlung voller Schutt und Lastwagen kommt die Station der Forscher daher. Antarktis-Romantik sieht anders aus.
Und so fällt der Blick des Exzentrikers und Film-Sonderlings auf die Menschen, die die Maschinerie am Laufen halten. Warum hat es sie in die Nähe des Südpols verschlagen? Stefan Pashov etwa, Philosoph und Stapel-Bagger-Fahrer, eine der ersten Begegnungen am Ende der Welt, antwortet: „Ich habe viele Länder des Bewusstseins und Straßen der Ideen bereist, ich habe mich in die Welt verliebt.“ Als Herzog fragt, warum sie sich hier getroffen haben, kommt die Antwort schnell: Das Ende der Welt sei ein logischer Ort, sich zu treffen, ein Ort, der eine gleichsam natürliche Selektion von Menschen vornehme, die den Drang haben, von den Rändern der Karten zu springen. Und hier liefen eben alle Fäden aller Karten zusammen.
Tatsächlich scheint McMurdo reich zu sein an hochinteressanten, etwas randständigen und bisweilen unverständlichen Charakteren. Deren Geschichten gesammelt zu haben allein macht Herzogs Film unbedingt sehenswert.
Aber auch die Schönheit der Natur kommt noch zum Zuge, und auch hier wird der Rahmen des Bildes beständig zur zu überschreitenden Grenze, wenn die Weite der Landschaft in den zahllosen Aufnahmen der unwirtlichen Natur mit aller Macht aus der Leinwand herauszubrechen scheint.
Und am Ende kann man sie dann doch noch sehen: Pinguine, wenn auch einsame und dem Wahnsinn verfallene: Von denen hat sich nämlich einer abgewendet und die Reise in die unendliche Weite des Eises – und den sicheren Tod – angetreten.
Zum ersten Mal ist Herzog mit „Encounters At The End Of The World“ für den Oscar nominiert worden. Verdient hätte der skurrile und intelligente Film den Preis. Denn wo kann sich Werner Herzog jetzt noch selbst übertreffen? Im Weltraum?
ROBERT MATTHIES
Do, 11. 12., 20 Uhr, Lichtmess, Gaußstraße 25