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Archiv-Artikel

Massaker ohne Kettensäge

Alle Welt warnt vor Mel Gibsons extrem grausamer „Passion Christi“. So viel religiöse Betroffenheit macht neugierig. Hat der umstrittene Film tatsächlich das Zeug zum subversiven Horrorschocker?

VON JÖRG BUTTGEREIT

Nein, es war nicht der Glaube an den lieben Gott, der mich in ein plüschiges Kinocenter pilgern ließ, um „Die Passion Christi“ zu sehen. Schon vor Jahren bin ich zum Leidwesen meines Pfarrers, der mich damals konfirmiert hat, aus der Kirche ausgetreten. Damals hatte der gute Mann auf mich eingeredet, ich solle mir das mit dem Drehen von Horrorfilmen noch mal gründlich überlegen. Hab ich getan. Kurz danach, es muss in den frühen 80er-Jahren gewesen sein, habe ich in dem Super-8-Mammutfilm „Jesus – Der Film“ die dankbarste aller Szenen inszenieren dürfen: die Kreuzigung. Natürlich mit Detailaufnahmen vom Nageln und der Auferstehung des Untoten.

Wenn ich also jetzt erneut Interesse an der Religion bekomme, liegt das wohl vor allem daran, dass im Fernsehen besorgte religiöse Menschen mit zerknitterten Gesichtern vor den extremen Grausamkeiten, die der Film angeblich zu bieten hat, warnen. Ganz schlecht werden soll’s einem da im Kinosessel. Das Popcorn will nicht mehr schmecken bei derlei derbem Blutgespritze. Bei so viel Betroffenheit wird man selbstverständlich neugierig. Obwohl diese Warmduscher sich im zeitgenössischen Splatterfilm sicher nicht sonderlich gut auskennen und sie ihren Kindern bestimmt verboten haben, sich das Remake von „Texas Chainsaw Massacre“ anzusehen. Die Notwendigkeit der Wundästhetik in der Filmkunst ist für solche Leute nur schwer nachzuvollziehen. Dabei hat ja schon Alex aus Kubricks „Uhrwerk Orange“ auf die derbe Kreuzigungsszene in der dicken Schwarte mit viel Horrorshow geschworen.

Genauso wie man damals das Scheißefressen in Pasolinis „Salo“ als Mutprobe über sich ergehen ließ, so will man als fachkundiger Kenner all dieser inzwischen kulturell abgestandenen Bahnhofskinoklassiker natürlich auch das neue, umstrittene Machwerk von Mel „Mad Max“ Gibson sehen. Obwohl der Frauenschwarm schon lange nicht mehr unter der Donnerkuppel Irokesenbiker massakriert hat, fragt sich der Freund des guten schlechten Geschmacks: Hat der Jesus-Schocker von Mad Mel tatsächlich das Zeug zu einem subversiven Schmuddelfilm?

Die Mittagsvorstellung im Cinemaxx am Potsdamer Platz ist gar nicht schlecht besucht. Wer sind bloß all diese Leute? Fachpublikum. B.Z.-Fotografen und gläubige Menschen. Die letzten 12 Stunden im Leben Jesu waren, wie ein Pfarrer bei RTL schon andeutete, „keine Tupperparty“. Der gute Mann wird in den zwei Kinostunden mit Stöcken und Peitschen gegeißelt, bis er nur noch ein rohes, zuckendes, sabberndes Stück Fleisch ist. Im Leiden war er zweifelsohne der Größte, unser Erlöser. Und selbst wenn ihm die Haut in Fetzen (der gute alte Latexhaut-Spezialeffekt) vom Körper hängt und er pausenlos von den Römern auf die Fresse bekommt, einen weisen Spruch hat unser Jesus immer am Start. „Herr, vergib ihnen, denn …“, und zack, hat er wieder eine drin. Mel hat die 30 Millionen Dollar Produktionskosten aus eigener Tasche bezahlt. Jetzt kann er auch machen, was er will. Zügellose Gewaltexzesse der guten Sache wegen zelebrieren und den Film in Hebräisch und Latein drehen. Das kommt voll arthousemäßig rüber. Als dem Messias dann endlich die dicken Nägel in Nahaufnahme durch die Hände getrieben werden, das viel zu dünne Blut am Kreuz herunterfließt, beginnt die dicke Christin mit dem strengen Körpergeruch neben mir zu weinen. Bei gläubigen Hardlinern scheint Gibsons brutale Message anzukommen. Die Dicke ist mit einem alten Herrn da, der fassungslos das Grauen auf der Leinwand anstarrt. Weggucken geht heute nicht. Wer glauben will, muss leiden. Mann oder Maus? Paradies oder Fegefeuer? Wer diese im Cinemaxx-Kinoprogramm als „knallhart und unerbittlich“ angepriesene Prüfung besteht, der hat wieder ein paar Sünden gut.

Viele haben eben ihren ersten Splatterfilm gesehen. Benommen taumeln sie aus dem Dunkel des Kinokerkers ins Freie, werden gnadenlos abgefangen von Reportern und Fernsehfritzen. Vielleicht hätten sie sich besser vorbereiten, mal die Videosammlung des sozialethisch desorientierten Sohnes nach Horrorfilmchen durchstöbern sollen. Sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischend, steht eine besonders tapfere Zuschauerin vor dem Filmplakat des „Dawn-of-the-Dead“-Remakes. „Es war schrecklich“, haucht sie erlöst in ein Mikrofon.

Nein, als Härtetest bei einem derben Videoabend unter angesoffenen Videoten lässt sich „Die Passion Christi“ nicht missbrauchen. Dafür ist er einfach zu langweilig und zu verbissen. Hätte Gibson nicht die „größte Geschichte aller Zeiten“ verfilmt, hätte sein Film glatt den Straftatbestand von § 131 StGB erfüllt und wäre wegen „Gewaltverherrlichung“ bundesweit beschlagnahmt worden. Mit Genreklassikern wie „Texas Chainsaw Massacre“ und „Dawn of the Dead“ auf der schwarzen Liste zu stehen wäre für das langatmige Jesus-Massaker jedoch zu viel der Ehre.