: Der Mann, der stinkt
Niemand dichtet sich einen größeren Stiefel zurecht als Heinz Rudolf Kunze
Heinz Rudolf Kunze, der mit seiner Forderung nach Quoten für deutschsprachige Musik im Radio und nach „Deutschlands Austritt aus der musikalischen Nato“ den Nazi machte, um an die Mustöpfe zu kommen, behauptete einmal, er würde „hierzulande die Aufgabe wahrnehmen, die in Amerika Musiker wie Bruce Springsteen oder Bob Dylan haben“. Diese üble Beleidigung ist leider nie geahndet worden. Statt ihm ein lebenslängliches Auftrittsverbot zu erteilen, außer als Vorgruppe der Wildecker Herzbuben, zu denen er inhaltlich ohnehin einige Affinitäten aufweist, und zwar so lange bis er vollständig von faulen Tomaten und anderen verdorbenen Lebensmitteln bedeckt ist, ließ man ihn gewähren. Und das rächt sich heute.
Der Vergleich mit Dylan scheint bei ihm ein Chaos im Kopf angerichtet zu haben. Seither jedenfalls produziert er am laufenden Meter schwachsinnige Texte und vertont sie. Mit seinem neuen Album „Rückenwind“ und dem Buch „Vorschuss statt Lorbeeren“, in dem seine lyrischen Eingebungen nochmals nachzulesen sind, hat er wieder Zeugnis von der hohen Kunst abgelegt, Texte zu verzapfen, „die ich selbst nicht ganz genau verstehe. Da kann ich selbst nur Andeutungen machen, was sie vielleicht bedeuten könnten.“ Und weiter belehrt uns der ehemalige Oberlehrer: „Mein Anliegen ist, Geschichten mit einem offenen Schluss zu erzählen, damit sich die Leute“ – na was wohl? Genau – „ihre eigenen Gedanken machen können“, als ob sich die Leute etwas anderes machen könnten, als eigene Gedanken, eine besonders dämliche Phrase, die immer dann ins Spiel gebracht wird, wenn der Phraseur damit ausdrücken will, dass das Publikum gefälligst seiner Meinung zu sein hat.
Kunzes Gedanken hingegen sind oft verschlungen und rätselhaft. „Ich bin spurlos verbunden / mit dem Defizit-Mann“, dichtet er einmal in einem Lied mit dem Titel: „Es ist nicht wie du denkst.“ Wenn man Lust hat, kann man lange darüber brüten – sofern man wüsste, wozu das gut sein soll. Oft ist Kunze auf sich selbst nicht gut zu sprechen, wobei er vor allem seine höchst privaten sexuellen Obsessionen und Selbstbezichtigungen für mitteilenswert hält: „Ich bin der Mann / der den ganzen Tag sein Glied festhält“, schreibt und singt er einmal.
Aber warum tut er das? „Das ist doch was / das spricht sich herum / alle sagen schau mal / das ist der Mann der den ganzen Tag / sein Glied festhält.“ Und man begreift: Für ein bisschen Aufmerksamkeit, und zwar egal welche, tut dieser Mann alles.
Auch sonst wundert man sich über den wunderlichen Mann, der es für eine „Liebeserklärung“ hält, wenn er seiner Angebeteten sagt, „Ich möchte dir nicht tief in die Augen schauen, sondern in den Slip … ich möchte dich nicht lieben, sondern ficken“, der „Hallo Deutschland“ ruft und enttäuscht ist, weil „keiner ran geht“, der findet, „am schönsten ist es immer noch zuhaus“, der „westliche Werte“ „mit der Lupe“ sucht, aus unerfindlichen Gründen in „Stahlbeton beißt“, „russischen Prinzessinnen die Fußnägel“ kaut, der der Öffentlichkeit frohgemut die Botschaft verkündet: „Ich stinke aus dem Mund / ich stinke unter den Achseln / ich stinke im Schritt / ich stinke zum Himmel“, und sich anschließend fragt: „Hört mir überhaupt noch irgendjemand zu?“
Keine Ahnung, würde mich aber wundern, denn so genau möchte man das gar nicht wissen, wo Kunze überall streng riecht. Vielleicht hilft ja ein Hygieneberater, auf jeden Fall aber ein Arzt. Der könnte ihn dann vielleicht auch über ein Missverständnis aufklären, denn es ist keineswegs so, wie Kunze zu glauben scheint, wenn er dichtet: „Wenn man mich nicht erfunden hätte / dann müsste es mich geben.“ Ein Grund für diese Annahme ist jedenfalls auch nicht mit Kunzes Lupe zu entdecken. Schon gar nicht in seinem Gedicht über den „Elften September“, in dem er behauptet: „In jedem von uns / schlummert die Bombe“. In mir nicht. Das wüsste ich. Und wenn in Kunze eine schlummert, warum ist er dann noch nicht explodiert? Höchste Zeit wär’s ja. Weiß vielleicht jemand, wo sich der Zünder befindet? KLAUS BITTERMANN