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Archiv-Artikel

Diese Politikerin ist nicht feige!

Ayaan Hirsi Ali ist neulich zur zweitbeliebtesten Niederländerin gewählt worden. Eine Muslimin und Liberale. Schön und aufrecht. Gerade deshalb kämpft sie gegen falsche Toleranz islamischen Einwanderern gegenüber. So erreicht sie die Popularität, die ein Möllemann in Deutschland vergebens suchte

AUS DEN HAAG ULRIKE HERRMANN

Sie gilt als die schönste Politikerin der Niederlande: Ayaan Hirsi Ali. Über niemanden wird in Holland so ausgedehnt berichtet, diskutiert und gestritten wie über diese 34-Jährige, die es vom Flüchtling zur Abgeordneten in Den Haag geschafft hat. Denn sie sagt laut, was viele Wähler schon lange schweigend denken: „Der Islam ist eine rückständige Religion“ und „Muhammed ist ein perverser Tyrann.“

Bei anderen wirken diese Anklagen etwas degoutant und pauschal, doch sie bringt ihr ganzes Leben als Beweis ein: Als Somalierin stammt sie aus einer Kultur, die Frauen beschneidet, meist nicht ausbildet, zum Kopftuch verpflichtet und zu Zwangsheiraten nötigt.

Ist sie selbst beschnitten? „Das tut nichts zur Sache.“ Nur indirekt sagt sie: „Meine Mutter findet, dass westliche Frauen sehr verzärtelt sind. Sie sagt, dass man seinen Schmerz mit Würde tragen muss.“ Andere Töchter, findet Hirsi Ali, sollen sich Worte wie die ihrer Mutter nicht mehr wehrlos anhören müssen.

Die liberale Regierungspartei VVD war begeistert von ihren Thesen und bot ihr bei der Wahl im Januar 2003 gleich einen sicheren Listenplatz an. Es hat sich für beide Seiten gelohnt: Voriges Jahr landete Hirsi Ali auf Platz zwei bei der Kür des „beliebtesten Niederländers“. Und sie hätte sicher sogar den ersten Platz erzielt, wäre nicht der sehr angesehene Bürgermeister von Tilburg an Darmkrebs erkrankt und gestorben. Man würdigte bei seiner Wahl zum ersten Landesliebling, wie offen er über sein Leiden gesprochen hatte.

Man stelle sich diese Kombination in Deutschland vor: Die FDP findet eine junge, schöne Türkin, die muslimisch erzogen wurde und nun vehement öffentlich und äußerst plakativ gegen die Kultur ihrer Eltern kämpft. Parteichef Guido Westerwelle wäre die Dauersorge los, dass es seinen Liberalen an Profil fehlt. Stattdessen könnte er sich darin sonnen, dass die FDP keine Tabus kennt, wenn es gilt, die Menschenrechte der Frau durchzusetzen.

Falls die Liberalen so eine streitbare Muslimin fänden, dann würde doch noch die Vision von Jürgen Möllemann wahr. Der umstrittene und inzwischen verstorbene Parteivize hatte den richtigen Instinkt: Die Liberalen könnten das „Projekt 18“ verwirklichen, wenn sie auf die Angst vor Überfremdung setzen. Aber Möllemann wählte das falsche Feindbild – Antisemitismus existiert zwar in Deutschland, ist aber nicht mehr politikfähig.

Hirsi Ali – eine würdige Erbin Pim Fortuyns

Außerdem war Möllemann nicht der geeignete Kandidat für ein solch populistisches Profil. Fremdenangst paart sich fast immer mit der Sehnsucht nach einer „ehrlichen“ Politik, die auf den einfachen Bürger hört.

Doch der Münsteraner war Berufspolitiker, ein Beamter fast im Rentenalter, daran konnten auch poppige Fallschirmsprünge nichts ändern. Er gehörte zum Establishment, gefragt ist jedoch glaubhaftes Antiestablishment. Da sind Außenseiter unschlagbar, die ihr Leben mit einer Botschaft verbinden können.

In den Niederlanden ist Hirsi Ali die Erbin von Pim Fortuyn. Auch er gehörte zunächst nicht dazu. Den etablierten Parteien erschien es wie ein Witz, als dieser sein Schwulsein nicht versteckende Soziologieprofessor und Zeitungskolumnist ankündigte, er wolle 2002 niederländischer Premierminister werden.

Doch „Professor Pim“ brauchte keine sechs Monate, um so viele Unzufriedene hinter sich zu scharen, dass es aussichtslos schien, eine neue Regierung ohne ihn zu bilden. Der markante Glatzkopf attackierte das Bildungs- und Gesundheitssystem, mokierte sich über die Pfründenpolitik der regierenden Sozialdemokraten. Doch bei den Wählern blieb vor allem haften, dass erstmals ein Politiker die etwa 600.000 islamischen Einwanderer aus der Türkei und Marokko kritisierte.

Er warf jenen vor, dass sie Juden, Frauen und Schwule diskriminieren, dass sie ihre Kinder nicht ausreichend fördern, sich nicht hinreichend anpassen, zu sehr in ihrer eigenen Kultur verharren. Kein Wunder, dass viele von ihnen arm blieben, wenn sie noch nicht einmal richtig Niederländisch sprechen könnten!

Dieser Tabubruch hat Hirsi Ali beeindruckt. Zunächst dachte sie noch, der spinnt, dieser provokante Professor. „Aber er hatte Recht, so ist der Islam.“ Heute bezeichnet sie sich als ungläubig – und das wollen ihre Eltern ihr nicht verzeihen.

Neun Tage vor der Wahl, am 6. Mai 2002, wurde Fortuyn von einem radikalen Tierschützer erschossen. Inzwischen ist seine Partei auf acht Abgeordnete zusammengeschrumpft. Nur zu gern würde man dort Hirsi Ali von den Liberalen abwerben. „Sie ist wie eine rare Perle im Sumpf“, schwärmt Joost Eerdmans, das junge Talent in der Riege des ermordeten Pim Fortuyn. Schon mehrmals hat er Hirsi Ali eingeladen, „aber sie hat nur gelacht“.

Was soll Hirsi Ali auch in einer kleinen Oppositionspartei, da sie doch bei den Liberalen längst die Unterstützung der prominenten Minister hat. Stört es sie nicht, dass sie so offenkundig benutzt wird, um Stimmen zu sammeln? „Nein, das ist ein transparentes Geschäft. Die Partei benutzt mich und ich benutze die Partei.“

Der Deal: Die Partei nutzt sie – und sie die Partei

Das sagt sie ganz sanft, analytisch – und ein wenig lächelnd. Sie ist Politologin, hat einige Zeit als Wissenschaftlerin in einem sozialdemokratischen Thinktank gearbeitet. Und so gibt sie sich auch, stets reflektiert und elegant gekleidet. Nichts könnte wirkungsvoller sein. Es irritiert die Medien noch immer, dass sie ihre aufregenden Botschaften so unaufgeregt präsentiert.

Zum Beispiel solche: „Wahre Muslime sehen säkulare Staaten als sündige Staaten“, schrieb sie kürzlich viel beachtet in der Tageszeitung De Trouw. „Sie sind davon überzeugt, dass die höchste Macht Allah zukommt und nicht dem Rechtsstaat.“ Sie rechnet vor, dass bald 60 Prozent der Schulkinder in Amsterdam von Migranten abstammen werden.

Daher will sie die Zwangsintegration. Sie will die islamischen Grundschulen abschaffen, will verhindern, dass Gemeinden weiter Zuschüsse gewähren, wenn Mädchen und Jungen getrennt schwimmen lernen. Sie will, dass Ärzte kontrollieren, ob muslimische Mädchen illegal beschnitten wurden, wenn sie von Reisen in ihre Heimatländer zurückkehren.

Und Ausländer sollen nicht mehr wählen können, wo sie wohnen, damit sich keine Ghettos bilden. „Wir müssen sie retten“, sagt Hirsi Ali, „vor dem Islam.“ Diesen Paternalismus verstehen viele niederländische Wähler nur zu gut.

Hirsi Ali ist keineswegs die einzige muslimische Politikerin in den Niederlanden, obwohl dieser Eindruck schnell aufkommen kann. Doch die anderen werden kaum gehört. Zum Beispiel Naima Azough, deren Eltern Marokkaner sind und die für GroenLinks im Parlament sitzt. Die 31-Jährige findet gar nicht falsch, was Hirsi Ali anstrebt: „Natürlich müssen Frauen über ihr Leben frei entscheiden können.“ Aber sie ist entsetzt, dass Hirsi Ali als einzige Methode die Attacke kennt. „Sie zwingt die Einwanderer in einen Loyalitätskonflikt. Plötzlich müssen sie sich zwischen dem Islam und der Integration entscheiden.“ Und dann wählten eben viele den Islam, auch weil sie die niederländische Gesellschaft als feindlich erlebten. „Als ich Kind war, war ich einfach Kind. Heute ist ein muslimisches Kind zuallererst ein Muslim, der sich permanent rechtfertigen muss.“

Inzwischen ist auch der niederländische Nachrichtendienst AIVD alarmiert. Vor ein paar Tagen warnte er das Parlament, dass die chauvinistischen Islamdebatten jugendliche Muslims zur al-Qaida treiben könnten. Denn sie „fühlen sich durch die Meinungsmacher und Meinungsführer ungerecht behandelt“. Und: „Sie erfahren einen Mangel an Respekt für ihre ethnisch-religiöse Identität.“

„Reine Dummheit“, sagt Hirsi Ali. Und setzt nach: „Feigheit.“